Skip to main content

Full text of "Die natur als künstlerin, nebst: Dr. W. Breitenbach"

See other formats




ßzuchi^ruie. 

e/hMidcn 


Digitized by Google 


Herausgeber 

FRANZ GOERKE 

Direktor der Urania in Berlin 


Digitized by Google 



„Kunstformen“ von Hrnst Haeckel. 


Eine Kolonie von Mantcliieren, deren einzelne Stücke aus strahliK 
zusammengewachsenen Individuen bestehen. 


Strahlenförmig zusammenge- 
wachsene Einzelpersonen einer 
Art von Manteltieren, einer 
Abteilung von oft rück- 
gebildeten, ausschließlich 
im Meere lebenden 
Würmern, die in 
ihrer Entwicklung 
den niederen 
Wirbeltieren 
nahe stehen. 


Desmonema Annasethe. 

Eine von Haeckel entdeckte und nach 
seiner verstorbenen ersten Gattin Anna Sethe 
benannte Scheibenqualle von der südafrika- 
nischen Küste. Von der unteren Fläche hängen 
4 blaue gekräuselte Mundgardinen, 2 orangcgelbc 
Gonaden und zahlreiche bewegliche Fangläden herab. 


(Aus „Kunatformen der Natur* 
Von Ernst Hseckcl. .Mil Erlaubnis ä 
Bibliographischen insiituls, Leiptis 


Digitized by GoogU 


Zu «Leuchtende Stunden“. — Einzelvcrkauf dieses Blattes ist untersagt. 







ERNST HAECKEL 


1 NATUR ALS KÜNSTLERIN i 


DR. W. BREITENBACH 


FORMENSCHATZ DER SCHÖPFUNG 


MIT 76 BILDERTAFELN 
DARUNTER ZWEI FARBIGEN 


U. BIS 30. TAUSEND 


VITA DEUTSCHES VERLAGSHAUS, BERLIN-CH, 


Digitized by Google 


Nachdruck verboten 
Alle Rechte Vorbehalten 

Copyright 1913 by Vita Deutsches Verlagshaus» Berlin-Charlottcnburg 
Für Rußland behilt sich der Verlag das Übersetaungsrecht vor 


Druck von Julius Sittenleld» Hofbuchdrucker.» Berlin 


Digitized by Google 


Ernst Hacckcl, dem großen Forscher 

und Führer in ein bis dahin unerschlossenes Wunderland, der in diesen 
Blättern eine Auslese aus seinem an Erfolgen und Ehren reichen 
Schaffen einem großen Leserkreise zugänglich macht, gilt auch heute, 
bei Erscheinen der erfreulicher Weise so schnell nötig gewordenen 
zweiten Auflage dieses Bandes, unser verehrungsvoller Gruß. 

Wir grüßen ihn am Vorabend seines 
80. Geburtstages, 

den er am )6. Februar 1914 begehen kann; wir sind ihm dankbar, 
daß er uns die Möglichkeit gab, die hier gezeigten Arbeiten als 
eine von ihm dem deutschen Volke dargebrachte Geburtstagsgabe 
in die Welt hinausgehen zu lassen. 

Unvergeßlich wird mir der sonnige Herbsttag sein, der mich 
nach Jena in des Forschers Heim geführt. Zwar war der greise 
Gelehrte infolge eines Unfalls an den Lehnstuhl gebannt, aber 
aus den lebhaften Augen seines imposanten Kopfes leuchtete noch 
das Feuer der Jugend, seine deutsche Männlichkeit, seine Herzens- 
fröhlichkeit, der Sonnenglanz, der von seiner Persönlichkeit aus- 
ging. Und wenn auch aus seinen Worten, wie aus seinen vor- 
her und später an mich gerichteten Briefen, die stille Resignation 
des Alters klang, wenn er immer wieder und wieder die Gebrechen 
der Jahre und seine Leiden betonte, die es ihm unmöglich machten, 
in alter Arbeitsfreudigkeit zu schaffen, so forderte die Frische seines 
beweglichen Geistes ebenso die Bewunderung heraus wie die Fülle 
seines hundertfältigen Wissens. 

Und vor meinem staunenden Auge enthüllte sich die Märchen- 
welt voll wunderbarer Schönheiten, der die Lebensarbeit dieses 
Mannes gegolten hat. Fach um Fach öffnete sich und in Bildern 
und Drucken, in Photographien und Aquarellen traten die tausend- 
fachen wunderbaren und merkwürdigen Gebilde hervor, die 
die Natur geschaffen und die dennoch aussehen, als ob eines 
vollendeten Künstlers Hand, von schöpferischer und unerschöpflicher 
Phantasie geleitet, sie gestaltet habe. 

Nur allzu rasch verging die Zeit, und als ich Abschied nahm, 
da blieb mir nicht nur die Erinnerung an einige in Haeckels 


Digitized by Google 



»— • *^0! • »--tCX • 34)^ • O »-^ • 141— «»H^I9»^»h^34»— #l4l-^34)-^l4l-^a 


stiller Gelchrtenstube verbrachte unvergeßliche Stunden, sondern 
auch ein dauerndes Andenken — die uneingeschränkte Erlaubnis, 
aus dem reichen Schatz seiner Werke einiges in die breite Öffent- 
lichkeit zu tragen und aus ihnen den für diesen Band vorgesehenen 
Stoff entnehmen zu dürfen. 

So sollen denn in diesem Bande eine Reihe seltsamer und 
formenschöner Gebilde gezeigt werden, die nicht nur Haeckels 
kunstfreudiges Auge entzückten, sondern die auch auf jeden Be- 
schauer einen nachhaltigen Eindruck machen müssen. 

Dem ersten, lediglich Haeckelsche Arbeiten bringenden Teil 
lasse ich ein von seinem Schüler W. Breitenbach gesichtetes und 
mit Text erläutertes Material folgen, das in bemerkenswerten und 
zum T eil selten gezeigten Photographien den von Haeckel stammen- 
den Bestand ergänzt und erweitert. 

Auch dieser zweite Teil ist reich an charakteristischen, teils 
grotesken, teils schönen Gebilden und beweist seinerseits, wie wohl- 
berechtigt die Bewunderung ist, die der liebevolle Beobachter der Natur 
dem unermeßlichen Formenschatz der Schöpfung entgegenbringt. 

Mag es auch Haeckel oft verdacht werden, daß seine Lehre den 
Glauben an einen Gott beeinträchtige, so werden viele ihm danken 
müssen, daß sie durch ihn im Urgrund der Natur ihren Gott 
fanden, denn im Genuß der Naturschönheiten — in welcher Form 
sie sich auch offenbaren mögen — wird unsere Naturbetrachtung 
zum Gottesdienst. 

Neujahr 19 14. FRANZ GOERKE. 


Das Gelingen dieses Bandes, der eine fast zweijährige Vorbereitungszeit erforderte, 
wäre nicht zu denken ohne die schätzenswerte Hilfe einer Reihe von Mitarbeitern, deren 
hier mit besonderem Dank Erwähnung getan sei. Photographisches Material lieferten: 
Fratelii Alinari, Florenz; R« Diederichs, Eutin; Hans Dopfer, München; E« Dubois-Reymond, 
Berlin; Die Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft, Berlin; Gebrüder Haeckel, Berlin; 
F« C. Heinemann, Erfurt; Internat. Photo-Archiv M. Koch, Berlin: Henry Irving, Goldthoro, 
Letchworth; Professor Dr. Otto Lehmann, Karlsruhe; £. May, Oschatz; H. Oesterreich, 
Berlin; £* Reukauf, \Feimar: Georg £. F. Schulz, Friedenau; Dr. Franz Stoedtner, Berlin; 
Technophotographisebes Archiv H. Herzberg, Friedenau« — Ferner stellten das Natur- 
wissenschaftliche Institut Linnaea und Herr Eugene Rey in Berlin ihre Sammlungen zur 
Verfügung. — Für Gewährung der Abdrucksberechtigung sei den Verlagen: Gustav Fischer, 
Jena; Bibliographisches Institut (Meyer), Leipzig; Castell and Co, Ltd., London und der 
Franckbschen Verlagshandlung, Stuttgart der gebührende Dank abgestattet« — Die künst- 
lerische Ausstattung leitete Kunstmaler Carl Vogel in Berlin, der Unoschlag und Deckel 
zeichnete; das Initial Seite 9 ist von Fritz Saleoder, die übrige Anordnung von Julius 
Klinger io Berlin. Der Herausgeber. 




Digitized by Coogli 


7 


Nur durch das Morgentor des Schönen 
Drangst du in der Erkenntnis Land. 

(SchUIer) 




Digitized by Google 



8 



Natürliche Gebrauchsmodelle. Tiere und PfUnzcngcbilde» die die Form von Gefäßen — Bechern, Urnen, 
TcUern — haben. Link« Reihe (von c4>cii rudi unteo){ Beutehtem, Ptlttierc* minfere Reihe: Schachtellingc (Diatomea)* 
Beulelstern, Wunderstrahliogs red>ie Reihe: Umensternc* (Aus «.Haedief. Kun^tformen der Narur^. Mit Erlaubnis des Bihlio« 

gra|»hiidten Inslituls, Leipzig.) 

Digitized by Google 






Ernst Haeckel 


I 



Die Natur als Künstlerin* 



der fünfzig' Jafire meiner mikroskopi- 
schen Forschung;en, besonders seit dem Er- 
scheinen meiner ersten Radiolarien-Mono- 
graphie (I862)> ist es mir häufigf begeg;net, 
daß teilnehmende Freunde und tttliHigc Be- 
sucher« denen ich meine 2^chnungen zeig^ 
oder atich die Objekte selbst unter dem 
Mikroskope vorführen konnte« in lebhaftes 
Erstaunen über die Schönheit und Mannig- 
faltigkeit dieser ««verborgenen Kunstwerke 
der Natur" gerieten. Enthusiastische Be- 
wunderer« Naturfreunde wie Künstler« riefen 
auss ««Wie ist es möglich« daß die Natur 
mit soviel Geschmack und Erfindungskraft 
so auserlesene Kunstwerke produziert! Wie 
ist cs zu erkliren« daß die einfache« dem unbewaffneten Auge unsichtbare Zelle so 
wundervolle Gebilde schafft? Ohne Gehirn und Äugen« ohne Hände und Werkzeuge? 
Und wozu wird soviel Schönheit und Reiz in der geheimen mikroskopischen Welt ver- 
schwendet?" Es kam wohl auch vor« daß ein skeptischer« dem Mikroskope miß- 
trauender Besucher die Existenz dieser erstaunlichen ««Kunstwerke der 21elle" direkt 
leugnete oder die Bßder für optische Täuschungen erklärte. Ein anderes Mal behauptete 
ein naiver Laie« daß solche Tiere und Pflanzen gar nicht existieren könnten« und daß 
meine Abbildungen davon ««erfunden" seien. Dabei fiel mir die Geschichte von dem 
Bauern ein« der im 21oologischen Garten zu Berlin zum ersten Male lebende Elefanten 
und Rhinozerosse« Giraffen und Känguruhs sah. In sein heimatliches Dorf zurück- 
gekehrt« rief er voll Enthusiasmus auss ««Nein« Kinder« das müßt ihr aber mal sehen; 
da laufen lebendige Tiere herum« die es gar isicht gibtl" 


Haexkd 2 


Digitized by Google 


10 


Was wissen wir über die Enfstehungr und das Wesen jener natürlichen Kunst- 
forinen, die sich überall in der Natur finden und wie sie sich uns zumal in den Ra- 
diolarien darstellen? Wir wissen heute« daß in allem Lebendigfen eine und dieselbe Sub- 
stanz die materielle Grundlage« der aktive ««Schftpfer" ists das Plasma oder Protoplasma« 
eine ursprünglich gleichartige« an sich formlose« festflüssige Substanz ohne ursprüngliche 
Struktur. Das lebendige Plasma besitzt die Fähigkeit« allen möglichen Lebensbedin- 
gungen sich anzupassen« und individualisiert sich gewöhnlich in Form einer einfachen 
kernhaltigen Zelle. Während bei den einzelligen Protisten der ganze Körper zeitlebens 
auf der Stofe der einfachen, selbständigen Zelle stehen bleibt« ist dieser Zustand bei den 
vielzelligen Tieren und Pflanzen nur im Beginn der individuellen Existenz vorhanden. 
Durch wiederholte Teilung der einfachen Eizelle erfolgt hier die Bildung von Geweben« 
die in großer Mannigfaltigkeit die Organe zosammensetzen. Aber in allen Fällen wird 
die Form sowohl dieser einzelnen Organe« wie die Gestalt des ganzen vielzelligen 
Organismus durch die plastische Tätigkeit des Plasmas bedingt. Wir beobachten seine 
Bewegungen und Formveränderungen und dürfen ihm nicht nur Empfindung und Ge- 
dächtnis (Mneme) zoschreiben« sondern auch ein Seelenleben einfachster Art. Die Theorie 
von der 2^ellseele« auf die ich zuerst vor fünfzig Jahren durch das Studium der Radiolarien 
geführt wurde« ist allein imstande« uns auch ihre plastische Tätigkeit« ihren ««Kunsttrieb" 
verständlich zu machen. 

Unter allen Klassen der Protisten bieten in dieser Beziehung die Radiolarien oder 
„Strahlinge" die lehrreichsten und interessantesten Verhältnisse; denn sie entfalten einen 
größeren Reichtum an schönen und mannigfaltigen Formen als alle anderen Klassen von 
Einzelligen« und gerade die wunderbare Kunst der lebendigen Zelle offenbart sich hier 
in der erstaunlichsten Weise. Mehr als zwölf Jahre meines Lebens habe ich mit dem 
Studium dieser kleinen Urtierchen verbracht und zuerst in einer Monographie der 
Radiolarien von Messina (1862) den Grund zu meinen Protistenstudien gelegt. 25 Jahre 
später habe ich dann auf Grund der märchenhaften Radiolarienschätze« die inzwischen 
die Forschungsreise des englischen „Challenger" ((S74/76) aus den tiefsten Meeresgründen 
gehoben hatte« eine zweite« viel umfangreichere Monographie in den ««Reports" der 
Challenger-Expeditian veröffentlicht t über 4000 verschiedene Arten« verteilt auf 739 
Gattungen« sind darin beschrieben. 

Alle Radiolarien leben im Meere« millionenweise angehäuft im sogenannten ««Plank- 
ton"« d. h. sie schweben im Wasser« sowohl an der Oberfläche wie in den verschiedensten 
Meerestiefen« ohne jemals den Boden zu berühren oder sich festzusetzen. Der lebendige 
Körper ist stets eine einfache« kernhaltige Zelle« umgeben von einer Gallerthülle« ur- 
sprünglich einfachster Kugelform« später oft auch von Ei-« Linsen- oder Scheibengestalt. 
Von der Oberfläche strahlen unzählige« äußerst feine Plasmafäden aus« die sich oft 
verästeln und Netze bilden. Dkse veränderlichen ««Scheinfüßchen'* (Pseudopodien) dienen 
nicht allein zur Ernährung oder Bewegung; sie sind auch die wuiuferbaren Künstler« die 
durch Ausscheidung von glasartiger Kieselerde (bisweilen auch Kieselkalk) die charak- 


Digifized by Google 



11 


teris t fachen Skelette bervorbrin^en» Bald erscheinen diese als schüteende Gitterschalenf 
bald als sternförmig Gebilde, die aus bestimmten, im 2^trum des Körpers vereinigt^ 
Radialstacheln easammengcsetet sind. Auch die einfachen oder mehrfach eusammen- 
gesetzten Gitterschalen sind außen meistens mit sehr regelmäßig angeordneten Radial- 
stacheln bewaffnet. Sowohl die Verzierungen dieser Stacheln, als auch die Ornamente 
der Schalen selbst und ihre Gitterbildung sind äußerst mannigfaltig und liefern die Mittel 
zur Unterscheidung der Tausende von Arten. Innerhalb der Art aber vererbt sich die 
charakteristische Skelettform ebenso (relativ konstant) wie bei den vielzelligen Arten des 
Tier- und Pflanzenreichs. Diese starren Fortsätze der Schalen, die weit über deren Ober- 
fläche hervorragen, dienen teils zum Schutze des weichen, lebendigen Körpers (als Ab- 
wehr gegen Feinde), teils als feste Stütze, teils als Schwebeapparate, die das Untersinken 
der Zelle verhindern. 



Sie entstehen nun diese wunderbaren Gebilde? Wir haben uns auf Grund 
der modernen Entwicklungslehre überzeugen müssen, daß jede Zelle, 
ebenso wie jeder vielzellige Organismus sich aus eigener Kraft selbst 
entwickelt, durch die physikalische oder chemische Energie seiner leben- 
digen Substanz. Bei den Radiolarien kann es also nur das Plasma 
des 21ellenkörpers und der von ihm ausstrahlenden Scheinfüßchen sein, das die 
Kieselskelette aufbaut. Die Art und Weise dieser Fabrikation, die bestimmte Gesetz- 
mäßigkeit in der Struktur und das sonstige Verhalten in ihrem Zellenleben über- 
zeugen uns leicht, daß dieses lebendige Plasma nicht nur Bewegung, sondern auch 
Empfindung besitzt, namentlich „plastisches Distanzgefühl". Die auffällige Zweck- 
mäßigkeit im Bau der Radiolarienschale erklärt sich nach der Selektionstheorie einfach 
durch die Wechselwirkung der Anpassung und Vererbung unter dem regulierenden Ein- 
flüsse des Kampfes ums Dasein. Von besonderer Wichtigkeit ist dabei das unbewußte 
Zellengedächtnis, die „Mneme", wie Richard Semon es genaimt hat. Dieses Zellen- 
gedächtnis erklärt uns auch die erblichen Kunstformen der Radiolarien, die Tatsache, 
daß die Kunsttriebe dieser einzelligen Lebewesen — ebenso wie andere ,4ostinkte" — 
mechanisch und monistisch zu beurteilen sind. 

Die Ähnlichkeit vieler Radiolarienskelette mit den Erzeugnissen menschlicher Kunst- 


tätigkeit ist höchst auffallend. Da finden wir beispielshalber eine großartige Rüstkammer 
von allen möglichen Waffen vort Schutzwaffen in Form von Panzerhemden und Helmen, 
Schilden und Schienen; Angriffswaffen in Form von Spießen und Lanzen, Pfeilen und 
Enterhaken. Da finden wir ferner die zierlichsten Schmuckstücke; Kronen und Diademe, 
Ringe und Ketten; Ordensdekorationen i Kreuze und Sterne usw. in uiwndlicher Mannig- 
faltigkeit. Viele dieser Kunstformen sind im ganzen und im einzelnen den Produkten 
hochentwickelter menschlicher Kunst so ähnlich, daß man in beiden auf die Gleichheit 


Digitized by Google 


12 


des tchfipferischen Kunsttriebes scblieBen könnte. Und doch liegt nur Konyergem heidn 
Produkte vor. BewuBtsein können wir in der Zellseele der Radiolarien so wenig an- 
nehmen, wie im Seelenleben der Pflanzen und der meisten niederen Tiere. Vielmehr 
müssen wir ihnen unbewußte Empfindung zuschreiben in dem Sinne, dca ich im 
zehnten Kapitel meiner „Welträtsel" und im dreizehnten Kapitel der ,J.ebenswunder" 
näher erläutert habe. 

Der wesentliche Unterschied zwischen den Kunstwerken des Menschen und den 
Kunstformen der Natur liegt also darin, daß die ersteren mit mehr oder weniger klarem 
Bewußtsein, zielstrebig, von Gehirn und Menschenhand erschaffen wurden, die letzteren 
hingegen unbewußt, ohne vorgefaßte innere Absicht, nur durch die Anpassung des 
Plasmas an die Leboisbedingungen der Außenwelt. Man kann die Kunsttriebe der 
Protisten geradezu als „plastische Zellinstinkte" bezeichnen; denn sie stehen auf 
derselben Stufe der Seelentätigkeit wie die bekannten Instinkte der höheren, vielzelligen 
Tiere und Pflanzen. Gleich diesen Instinkten entstehen sie ursprünglich durch An- 
passung, Übung und Gewohnheit; dann aber sind sie durch Vererbung zu ständigen 
Charaktereigenschaften der Art geworden. 

Die kieselhaltigen Radiolarien sind unzweifelhaft die größten Künstler unter den 
Protisten; denn sie realisieren in ihren wunderbaren Kunstwerken alle möglichen, theo- 
retisch denkbaren Grundformen, die wir in unserer Grundformenlehre („Promorphologie") 
nach mathematischen Prinzipien unterscheiden können. (VergL Kap. 8 meiner „Lebens- 
wunder".) Auch in der stereometrischen Konstruktion ihrer höchst regelmäßigen Kunst- 
werke verfahren sie mit der peinlichsten Akkuratesse eines geschulten Geometers, und in 
der eleganten Ornamentik ihrer phantastischen Gitterschalen und deren vielgestaltigen 
Anhänge wetteifem sie mit der Phantasie der arabischen Architekten, die die Alhambra 
von Granada ausschmückten. 

Aber auch andere Klassen von Protisten schaffen eine Fülle von schönen und eigen- 
artigen Kunstwerken, so die Talamophoren oder „Kämmerlinge", deren vielgestaltige, 
zierliche Schalen jedoch gewöhnlich aus Kalkerde bestehen. Auch unter den Urpflanzen 
gibt es drei formenreiche Klassen, die sich durch den Bau schöner und merkwürdiger 
Kunstwerke auszeichnen i die Diatomeen, Desmidieen und Peridineen. Am höchsten ist 
der Kunsttrieb bei den Diatomeen oder Schachtellingen entwickelt, die sich in unge- 
heuren Massen an der Zusammensetzung des Plankton (sowohl im Meer als im Süß- 
wasser) beteiligen. Ihr einfacher, nackter Zellkörper scheidet eine schützende Hülle aus, 
die die Form einer runden oder länglichen Schachtel mit Deckel hat. Über 4000 ver- 
schiedene Arten solcher „Kieselschachteln" sind bekannt. Die glasartige Schale besteht, 
wie die Schale der Radiolarien, aus fester Kieselerde und zeigt auch eine ähnliche, höchst 
feine und zierliche Skulptur. Dagegen besteht die Zellhülle der nahe verwandten Des- 
midieen oder „Zierdinge" aus Zellulose, und hat meist die Form von eleganten Sternchen, 
Kreuzchen oder Broschen. Die Peridineen oder „Geißelhütchen" besitzen eine zwei- 
klappige Schale von zierlicher Skulptur; die beiden Hälften sind gewöhnlich sehr ver- 


Digitized by Google 



J3 


scUeden und durch lange Stacbelfortsätze ausgezeichnete Schutzwaffen und Schwebe- 
apparate. 

Die vielen Tausende von wundervollen Kunstwerken, die die Protisten beider Gruppen 
(Urtiere und Urpfianzen) von Einzelligen, in^lWasser lebend, hervorbringen, sind uns erst 
durch die emsigen Forschungen zahlreicher Naturforscher des neunzehnten Jahrhunderts 
mit Hilfe der verbesserten Mikroskope und Untersuchungsmethoden bekannt geworden. 
Die 22 Tafeln [von Protisten, die ich seinerzeit [in meinen »Kunstformen der Natur** 
veröffentlicht habe, konnten nur eine kleine Auswahl von besonders schönen und inter- 
essanten Kunstwerken der Zelle geben. 

Im Vorwort zu diesem Werke hatte ich ausdrücklich die objektive Wahrheit der 
naturgetreuen Abbildungen betont! »Die moderne, bildende Kunst und das michtig empor- 
geblühte Kunstgewerbe werden in diesen wahren ^^unstformen der Natur* eine reiche 
Fülle neuer und schöner Motive finden. Bei ihrer Zusammenstellung habe ich mich 
auf die getreue Wiedergabe der wirklich vorhandenen Naturerzeugnisse beschränkt, da- 
gegen von einer stilistischen Modellierung und dekorativen Verwertung ' abgesehen; 
diese überlasse ich den bildenden Künstlern selbst.** Jeder, der die betreffende Literatur 
und die Quellenwerke kennt, aus denen meine Figuren treu kopiert sind, kann sich leicht 
überzeugen, daB ich jenen Grundsatz der objektiven Darstellung streng festgehalten habe. 


Jiese Tatsache ist vor einigen Jahren bezweifelt worden. Man behauptete 
nämlich, meine Zeichnungen seien stilisiert und die von mir wieder- 
gegebenen Formen kämen so in der Natur nicht vor. Zwar sollten 
die von mir abgebildeten Panzerbildungen der Radiolarien und anderer 
Protisten in der Tat existieren; ihre Formen aber sollten unter dem 
Mikroskop, wo wir doch immer nur einen Schnitt durch den Körper zu sehen be- 
kämen, ganz anders wirken als in der auf den kubischen Eindruck hin ausgebauten 
Zeichnung. An den realen Gestalten falle einem gut geschulten Auge gnade die 
unkünstlerbche Gestalt auf. 



Bekanntlich hat die erstaunliche Verbesserung der modernen Mikroskope — wie 
wir sie namentlich meinem verstorbenen Freunde und Kollegen Emst Abbe verdanken — 
zu einer ungeahnten Erweiterong und Vertiefung der Naturerkenntnb geführt, und wir 
suchen in unsera mikroskopischen Abbildungen alle Formverhältnisse möglichst klar und 
scharf darzustellen. Wir beschränken uns bei der Wiedergabe des Gesehenen keineswegs 
auf einen optischen Durchschnitt, sondern können durch Drehung der Mikrometer- 
schraube des Mikroskops alle Teile des Körpers genau beobachten und dadurch ein 
plastisches Bild der Wirklichkeit gewinnen. 

Man ist so weitgegangen, zu behaupten, eine starke VergröBerung eines mikro- 
skopisch kleinen Gebildes, z. B. eines Radiolarienskeletts, bedeute keine Verdeutlichung, 


Digitized by Google 



14 


sie zerstöre vielmehr den Sinn des Ganzen. Es wurde dabei besonders auf das schöne 
Radiolar Histrlastrum Boseanum verwiesen, ienes merkwürdig: gestaltete Wesen, das auch 
unser Initial am Anfang dieser Abhandlung wiedergibt. Das zierliche Kieselskelett dieses 
Radiolars bildet eine quadratische Scheibe, von deren vier Ecken )e ein langer, am Rande 
gezähnter und am Ende kolbenförmig angeschwoUener Fortsatz ausgeht. Die vier Arme 
li^:eo in einer Aquatorialefaene und stehen senkrecht aufeinander. 

Die starren, festen Formen dieses Gebildes kann man mit dem Zeichenapparat 
ebenso geziau wiedergeben wie es die beste Photographie vermag. Und doch hat man 
die Behauptung auf gestellt, die von mir veröffentlichte 2Leichnung dieses schönen 
Histriastrum Boseanum sei nicht eine rdne Naturbildung und verliere damit alle Glaub- 
wördigkeit und Beweiskraft. Die Zeichnung sei nur ein trockener GrundriB und zeige 
alle Formen sehr gedehnt. Mit der VergröBerung an sich sei auch eine ganz erhebliche 
Schematisierung verbunden; infolgedessen erhalte man von der individuellen, wahren 
Erscheinung eines solchen Radiolars keine zuverlässige Vorstellung. 

Jeder, der auch nur einige Übung im Arbeiten mit dem Mikroske^ hat, wird diese 
Behauptungen als vollkommen irrig anerkennen. Die feste Beschaffenheit gerade der 
Radiolarienskelette gestattet eine ganz exakte zeichnerische Wiedergabe, und wenn man 
sich die Möhe geben wollte, Präparate von Radiolarien unter^dem Mikroskop mit den 
von mir veröffentlichten Zeichnungen zu vergleichen, so würde man ohne Schwierigkeit 
erkennen, daß es sich bei den letzteren um eine objektive Wiedergabe der realen 
Gestalten handelt und daß von Rekonstruktion, Zurechtstutzung, Schematisierung oder 
Fälschung gar keine Rede sein kann. 

Ebenso ungerecht ist der Vorwurf, ich hätte auf den Tafeln meiner »Kunstformen 
der Natur*^ die zahlreichen Figuren symmetrisch angeordnet, anstatt sie unregelmäßig 
durcheinanderzuwürfeln. Gegenüber diesem Vorwurf einer »lästigen Symmetrie", die 
»das reine Gegenteil von künstlerischer Wirkung ausübe", weise ich auf die strenge 
Symmetrie z. B. der griechischen Tempel und gotischen Dome hin. Gerade die starren 
Formen der Skelette von Radiolarien und andern Protisten offenbaren in der erstaun- 
lichen Mannigfaltigkeit ihrer reichen Gliederung und zierlichen Ornamentik eine Fülle 
von Schönheit, die sie für die bildende Kunst und das Kunstgewerbe zu einer höchst 
wertvollen Schatzkammer macht. 

Das hat z. B. der fraiuösische Architekt Reni BinetTn seinem großen Pracht- 
werk »Esquisses dtowatives" (Paris 1902) richtig erkannt. Der ausgezeichnete Künstler, 
dessen hervorragendes Talent man in den Prachtbauten der Pariser WeltauKtellung (1900) 
bewundern konnte, hat hier auf zahlreichen Foliotafeln gezeigt, wie ergiebig die Quelle 
der Schönheit gerade in den niedersten und kleinsten, ^großenteils mikroskopischen Lebens- 
formen fließt, und wie die »schaffende Phantasie" der Natur gerade hier ihren uner- 
schöpflichen Reichtum am erstaunlichsten entfaltet. Dabei hat Binet meine »Kunst- 
formen der Natur" ausgiebig verwertet, zumal die auch von mir bevorzugten Klassen 
der Radiolarien, Thalamophoren, Medusen, Korallen, Echinodermen und Diatomeen. Er 


Digitized by Google 



15 


hat es vorzügrlich verstanden, die realen Naturformen, wie ich sie objektiv abg^ebildet 
habe, nicht allein rein s« verwenden, sondern auch subjektiv in g;eschniack voller Weise 
SU stilisierea und praktisch dekorativ su verwerten. 

Wie schön sich die reisenden Kunstformen der genannten Klassen und besonders 
die wundervollen Gestalten der mikroskopischen Protisten ornamental verwerten lassen, 
habe ich auBerdem durch sahireiche freundliche Geschenke erfahren, die mir seit der 
Publikation meiner „Kunstformen“ sug^angen sindi Möbel und andere Hausgeräte, 
Teller, Becher, Kissen, Taschen usf., geschmackvoll dekoriert mit den reisenden Formen 
der vorher erwähnten Protisten. Diese vielfache und erfreuliche Verwendung meiner 
,4^unstformen der Natur“ auf verschiedenen Gebieten der bildenden Kunst und des 
Kunstgewerbes seigt deutlich, daß die gegenteiligen Anschauungen keineswegs in Kunst- 
kreisen allgemein sind. 

Was würde der Größte unter den Großen, was würde Goethe gesagt haben, wenn 
er hätte lesen müssen! ^,Die Natur schafft keine Kunstwerke; denn sie ist in^Hinsicht 
auf die Schönheit der Gegensats sur Kunstl“ Man vergleiche hiersu Goethes wunder- 
baren Hymnus an die „Natur“, den ich meiner „Natürlichen Schöpfungsgeschichte“ als 
einleitendes Motto vorgesetst habet „Die Natur schaift'ewig neue Gestalten; was da 
ist, war noch nie; was war, kommt Jnicht wieder; alles ist neu und doch immer das 
Alte . . . Sie lebt in lauter^Kindem; und die Mutter, wo ist sie? — Sie ist die einzige 
Künstlerin! aus den simpelsten Stoffen zu den größten Kontrasten; ohne Schein der 
Anstrengung zu der größten Vollendung.“ Und wenn diese Sätze den Verfechtern der 
oben erwähnten Theorie schon wenig erfreulich sein werden, so noch besonders d« treffende 
Zusatz; „Sie läßt jedes Kind an sich künsteln, jeden Toren über sich richten. Tausende 
stumpf über sich hingehen und nichts sehen und hat an allen ihre Freude und findet bei 
allen ihre Rechnung.“ 


T gegnerische Standpunkt, der von nicht wenigen doktrinären Kunstgelehrtoi 
und Laien geteilt wird, erklärt sich aus einer verfehlten dualistischen und 
anthropistischen Weltanschauung *). „Die Kunst ist nach dem seit lange 
eingeführten und noch geltenden Sprachgebrauch dem Menschen reserviert“, 
mehlen die Vertreter dieser Weltanschauung. Demnach sollen die bekannten 
und bewunderungswürdigen Künste der Tiere, der Gesang der Vögel, ihre Nester, die 
kunstvollen Bauten der Wirbeltiere und Insekten, die interessanten Liebesspiele der 


*) Vergleiche iJlaecfcel, WeltritscI", Ente* Kulteli „Der >DaaIiimu** zerlegt da* Univeniim in 
zwei ganz venchiedene Subetanzen, die materielle weit und den immateriellen Gott, der ihr al* SebApier, 
Erhalter and RejHerer gegenöbenteht. Der »Monizmax hingegen erkennt im Univertom nur eine einzige 
Substanz, dl* »Gott and Natur« zugleich i*ti Körper and Geist (oder Bdaterle and Energie) sind Kkr sie 
untrennbar verbanden." — > Anthropismas« wieder lat „jener mSchtlg* and wettverbreitete Komplex 
von irrtümlichen Vontellangen, weicher den menscblicben Organismos im Gegensatz za der übrigen 
Natur stellt." 



Digitized by Google 



i6 


höheres Tiere mit ihren Tü&zen, Gesingen und anderen Verführxingshönsten utf., 
überhaupt nicht mit den entsprechenden Leistungen der Menschen zu vergleichen sein? 
Gegen solche unberechtigte anthropistische Auffassung wird jeder Naturforscher und 
Naturfreund Einspruch erheben, der die wundervollen Kunstleistungen der Tiere aus 
eigener Beobachtung kennt und aus ihrer isthetischen Betrachtung wirkliche Kunstgenüsse 
geschöpft hat. 

Unsere moderne Entwicklungslehre, deren feste Begründung wir als einen der be- 
deutendsten Kulturfortschritte des neunzehnten Jahrhunderts feiern, hat uns zu der 
sicheren • Erkenntnis geführt, daB alle Erscheinungen in der Natur wie im Menschen- 
leben aus einfachsten Anfängen sich allmählich entwickelt haben. Sie hat uns ferner 
überzeugt, daB der Mensch — seinem ganzen Körperbau und seinen Lebenserscheinungen 
nach ein echtes Wirbeltier, und zwar ein plazentales Säugetier — aus diesem Stamme 
entsprungen ist. Also ist auch seine ganze Kunst, in engerem wie in weiterem Sinne 
dieses vieldeutigen Begriffes, nicht (wie man früher glaubte) das Geschenk einer über- 
natürlichen Macht, sondern das natürliche Produkt seines Gehirns — genauer gesagt! 
die Arbeit von Nervenzellen, die das Denkorgan in unserer grauen GroBhimrinde zu- 
sammensetzen. Die Anlage dazu, die Fähigkeit oder „potentielle Energie*' der Kunst- 
funktionen, ist aber bereits in der Stammzelle gegeben, in der befruchteten Eizelle. 
Gleich allen andern „Seelentätigkehen** hat sich also auch die vielseitige Kunsttätigkeit 
aus diesem einzelligen embryonalen Zustande nach dem biogenetischen Grundgesetze zur 
„aktuellen Energie** des schaffenden Künstlers entwickelt. Ich habe in meiner „Anthro- 
pogenie** (1874) den wunderbaren Gang dieser stufenweisen Entwicklung klargelegt und 
durch zahlreiche Abbildungen erläutert. Die wunderbaren Kunstwerke der Zelle, 
wie wir sie jetzt in unzähligen Naturprodukten einzelliger Protisten kennen, erfreuen 
unsem Schönheitssinn ebensosehr, und sie sind einer ästhetischen Kunstbetrachtung 
ebenso würdig, wie die verschiedenen Kunstwerke, die das menschliche Gehirn mit 
Hilfe unserer Sinnesorgane konzipiert und durch das technische Geschick unserer 
Hand ausgeführt hat. DaB die veranlassende ästhetische Empfindung bei den ersteren 
unbewuBt, bei den letzteren bewuBt arbeitet, kann unser künstlerisches ebenso wie unser 
wissenachaftliches Interesse daran nur erhöhen. 

Und wir dürfen wohl hoffen, daB ein weiteres eingehendes Sttidium der Kunst- 
formen der Natur nicht nur praktisch das Kunstgewerbe fördern, sondern auch theoretisch 
das wahre Verständnis der bildenden Kunst und ihrer idealen Aufgaben auf eine höhere 
Stufe erheben wird. 


^ ^ ^ 


Digitized by Google 


17 


Aus dem Reiche der Strahllng^e« 

Die hier und auf den nichsteo Tafeln abgebildeten Radiolarien oder Strahlinge sind im Meere lebende» 
mit dem bloßen Auge kaum erkennbare winzige Tiere» deren ganzer Körper aus einer eintigen Zelle besteht« 
d. h. aus einem Stückchen Protoplasma» einer eiweißartigen l^sse» xnit einem dichteren Kern. Die Bilder 
stellen ausschließlich die Skelette oder Gerüste dieser Tierchen dar» nur bei einigen sieht man aus den feinen 
Öffnungen der Skelette zarte Protoplasmatiden herausragen gleich den Strahlen einer Sonne« 



SchaumstrAhUnge oder Schaumstemcben. <Aus <kn Challrnger'Radiot4rim von Emsi Haedid.) 


Hacfi.cl 3 


Digitized by Google 


iZ 



- /c II. ^ !•* Fioiir links oben sieht man zahlreiche Einzeltiere voo einer gemein* 

'umstrahlinge (Spumc Obtrfliche feine Proloplasm»fäd«n au»slrihlen. (Aus den Chailengtr-RadioUrien 

von Eens. H.«.teu Dig tizecl by Gl lOgk 


G.allertbüUe umschlosseop 


19 



Bei dem oberen Bild links ist ein Stück der Schale losgebrochen und man erkennt» daß das Skelett aus drei 
^ ineinander geschachtelten Gittcrkugcln besteht» die miteinander durch radiale Balken in Verbindung stehen. 

(Aui iJen Cfiallenjtcr'RadioLirien von Fnni llaniicl.) ^ ^ j 


20 



Skelette von StcmstfAhUngfCn* (Na<ti den Ctta(ten^er-Radiolarkn von Ernst HaecicI) Du Skelett beiteht AUS 20 StAChelfi* 
die von einem gememsamen Mittelpunkte auagehen und mannigfaltige Anhänge haben» die sich au einer Citter- 

kugel susammenschließen können* 


Digitized by Google 


2f 



c Auswahl zeigt die außerordentliche Gestaltenmannigfaltigkeit Innerhalb einer bestimmten Abteilung der StrahUnge« 

(Nad> den ChaUcnger'Rjdiolarkn von Ernst Haedel.) 

Digitized by Google 




22 



RohrstrahlingfC oder PhAcodArien» die »ich dadurch besonders auseeichnen» daß ihr Skelett meist aus bohlen 
röhren besteht» die nach außen oft in kurst vollen Bildungen enden. Die Figur unten rechts stelll einen klr 
Ausschnitt aus cinecn solchen kugelförmigen Rohrstern vor und gewahrt auch einen Einblick io den Bau des eigenth^ 
Weichkörpers des Xieres. (Aus den Chaltcnser^Rjcliolarkn vop Emst HaedirU 


23 



Rohrstrahling^e. Die klelnca Figuren oben und In der Mitte sind einzelne« melit itrahlenibrmig geiUltete 
Skclcttetäcke« wie >ie nur bei einer kleinen Abteilung der Rohretemeben Vorkommen. (Au> drn C1>^«i(er>Re<jio> 

larien von Ernst Hacckd.) 


Digitized by Google 




24 



Die „Blumen und Schmetter- 
linge" des Meeres 
Polypen und Medusen» die 
mit ganz wenigen Ausnahmen 
Bewohner des Meeres sind» 
stehen vielfach mit ein* 
ander in engster Be- * 

tiehung. (Die hier und Seite 
25— 27 vledergegeheoen Bilder ^ 

cotttammm dem Werk 
G. J. AQiitaa: A Mono« 
of thcHydrolds.} 


Viele der fesUltzendcn» an Tang» 
Steinen uu dgL aufgewaebseoen Po- 
lypen erzeugen durch ungescblecht' 
liehe Knosptsng glockenf6r’ 
mige» frei im Nasser umber- 
schwimmende Medusen» die 
ihrerseits Geschlechts* 
Organe bilden} aus der 
bcnucbtetcn Eizelle der- 
selben geben dann wie- 
der Polypen her- 
vor (Gen erations' 
Wechsel). 


Kolonien (e&tgewachsener Polypen mit noch nicht zur vollen Ausbildung gelangten Geschlechtsknospen unter 
halb des dte Fühl* und Fangladen tragenden Vorderendes des Körpers. 

Digitized by Googit 



Ib«kcl 4 


Unten: Eine Polypen* Kolonie» deren einfache Glieder (Einzelpersonen) Medusen auf verschiedenen Stufen der 
Ausbildung zeigen. Rechn: Das Ende eines verzweigten Polypenstöckchens mit Medusenknospen. Oben links: 
Zwei von diesen Polypen losgelöste Medusen mit vier Fühl* und Fangiäden» sogenannte Blumenquallen oder 

Anthomedusen. _ 



26 


Ob<nt Eine Kolonie 
von Polypen» von 
denen einige Fühl* und 
FanglJiden besitzen» 
andere nicht* Die Ge* 
schlechtsknospen sind 
noch nicht zu Medusen 
entwickelt» sondern 
ruckgebildet* 



Unten x Ein e Polypen*” 
kolonie» aus einem 
verzweigten Vurzel* 
System wachsend« An 
einigen Stellen Nihr* • 
poIypen mit Fang- und 
Fühlfiden» aber ohne , 
Geschlecbtsknospen»an 
anderen Geschlechts* 
pertonen» von denen 
jede eine Meduse er- 
zeugt. 





Hydroid-Polypen mit einem einfachen Kranz von Fühl- und Fangfiden* 

Digitized by Google 


27 



Röhrenpolypen (TubtsUHrn) mit einem doppelten Kranz von Fühl- und Fangfiden. Rechts obett: das Ende 
eines Polypen^ links oben: eine Iraubenförmige Knospe mit Meduser.brut* Unten links: ein }unfer Polyp) unten 
rvdits: eine losgelöste Meduse, die sich auf einigen Fangfäden kriechend fortbewegeo kann* 

Digitized by Google 


28 



Medusen oder Quallen 

Die meisten Medusen entwickeln sich durch Knospung aus Polypen: einige Abteilungen 
dagegen erzeugen Eier* aus denen direkt wieder Medusen entstehen. Solche Medusen leben im 
offenen Meere» weit entfernt von der Küste. Diese pelagische Lebensweise hat zum allmAh' 
liehen Wegfall der festsitzenden Polypen>Generation geführt. (Oie Mer und auf Sehe 29 bis 33 
bcfirnUichen Bilder enuiammcn dem Vi'erke: ftacikel» System der Medusen"» Jena» bei Gustav Fischer.) 


Eine Kolbenqualle aur Australien» von unten gesehen. Am Rande des glockenförmigen Körpers ent' 
springen die Fang- und Füblfäden: aus der Mitte der Glocke ragt der lange Mundkegel hervor» die Mund- 
Öffnung am vorderen Ende desselben trägt sechs blattförmige Mundlappen: an der Basis des Mundkegels 
sieht man sechs lappenförmige Geschlechtsdrüsen. 


Digitized by Google 


29 



Die mittlere der drei unten abgebil- 
deten Blumenquallen oder Antho- 
medusen aus Japan» dem Mittelmeer 
und aus Australien erzeugt am 
Glockenrande durch Knospung junge 
Medusen mit Überspringung der Po- 
lypen*Generation. l inks oben: Mund- 
arme einer Scheibenqualle» rerfits: eine 
der vier Seitenwände des Magens 
einer grönländischen Blumenqualle. 




Blumenquallen oder Anthomedusen. 


Digitized by Google 


30 


eben: Eine FAltcnqualle mit 
rahlreichcn Fühl* und Fang* 
faden aus dem Mittelmeer. 
Unten: Eine Blumenqualle 
von den Falklands*lnseln 
mit büschelförmig ver* 
zweigten Mundgriffeln im 
Innern derGIocke und zahl- 



reichenr gruppenförmig 
entspringenden Faagfaden. 
I.Inks: Eine norwegische 

Blumenqualle von obeo 
gesehen. Rechts: Mundarme 
einer javanischen Scheiben* 
qualle von unten gesehen. 



Quallen oder Medusen. 


Digitized by Google 


31 



llniim: Eine Blumenqualle von den Onarischeo Inseln mit MundgrUfeln und i;ro6en. mehrfach verzweigten 
Fang* und Fühlfaden* Mit eigentümlichen Anfängen derselben kann sich das Tier festheften und wie mit 
Beinen fortbewegen. Unkt: Eine Blumenqualle aus dem Mittelmeer mit langen verzweigten Mundgriffeln 
und kurzen* plumpen Fang- und Fühlfäden, die zu {e 4 vereinigt sind. Rechis: Eine Kolbenqualle aus dem 
Roten Meere mit an ihrem freien Ende kolbenförmig verdickten# massiven Fühl- und Fangfäden. 

Digitized by Google 


32 



Um>*n: Eine Schetbenquallc von der Küste Brasiliens mit mächtigen» an den freien Seiten gekrausten 
Mundarmen, dazwischen lange feine FühUäden. Links olcn: Eine einfach gebaute Scheibenqualle aus dem t 
C hinesischen Meere. Rechts oben: Eine australische Faltenqualle mit vier groOen gekrausten Mundlappen 
und zahlreichen kleinen Fang* und Fühlfaden am Glockenrande. 



33 



»fhchcndi^tt Kronleuchter^^ und ^^Fruchtschale'^ Oben: Eine Blumenqualle von Cuba mit zwei entwickelten 
'jnd zwei verkümmerten Fühl* und Fan^äden. Die ersteren tragen zahlreiche zur Verteidigung und zum Fang der Beute 
dienende Neueiorgane» die auf aus* und einstreckbaren Fäden sitzern Urnen: Eine Scheibenqualle aus dem Roten 

Meere» die sich mit den Mundlappen angesaugt baU 

Digitized by Google 


^ Haetiel 5 




34 



T iefsee -Medusen 

Während die mcUten Medusen in 
der Oberfläche des Meeres leben 
und nur in geringe Tiefen» z. B. 
bei kühlerem oder stürmischem 
Wetter^ hinabsteigen» bewohnen 
einige Gattungen und Arten auch 
die tiefen AbgründederOzeane»wie 
die neueren Tiefsee-Forschungen 
gezeigt haben« Zu diesen Tiefen' 
bewohnern gehören wahrscheinlich 
die auf Seite 34— 37 abgebildeten 
Medusen» die von Ernst Haeckel 
in seinem Werke «Die Tiefsee-Me- 
dusen der ChaIlenger-Reisc**(Vciiag 
von O., Fischer iit |enj) beschrieben 
worden sind. Diesem Werke sind 
auch die Figuren entnommen' 






(Inrrii: Eine große Scheibenq'jalle mit großen gekrausten Mundarmen und zahlreichen Fühlfäden» die an 
der Unterseite der Scheibe entspringen. Oion lintis Eine Scheibenqualle mit acht langen Mundarmen» die 
kurz vor ihrem freien Ende kolbenförmig verdickt und gekraust sind. OJ^ti retln\: Eine Taschenqualle der 
Tiefsce (vom Challenger erbeutet) mit hohem glockenförmigen Kö:per und zwölf langen Fangfäden« zwischen 
diesen vier Sinneskolbcn zwischen je zwei großen Randlappen. ' 



35 



(Imeni Die Tasc benquall e der vorigen Sette von unten gesehen, ln der Mitte die weite Mundöffouog mit 
8 Magenfiden. Obent Zwei Span gen m edusen von unten gesehen, links eine achtzäblige, rechts eine vierzahllgc* 


d by Google 


36 






Cb:a: Eine Blumen> 
quallc mit nur swci 
geg<oubcntcbendcii 
langen r dicht mit 
Nesaelknotcn beseU- 
tea Fangfaden und 
vier oft verzweigten 
Mundgriffeln» die 


den Magenumstehen 
und an den Zweig- 
enden Nesselknöpic 
tragen. Urnen: Eine 
Sp&ngenmeduse 
mit l6 nach oben 
gerichteten massiven 
Fang'und FühlUden. 


XicUec-Medusen. 


Digitized by Google 



fnUft 4° d«f Tiefscc» von der S<it« und von unten gesehen* Am Rande der domförmig 

^ <o Glocke sablreiche Fang- und FühlfÄden sowie Saugscheibem Im Innern sieht man die viereckige 
Mundöffoung und die acht radial verlaufenden Geschlechtsdrüsen. 


Digitized by Google 




38 



Die StaAtsquallen 

Röhrcnquallen oder Si> 
phonophoren » vielleicht 
die merkwurdigsteoTiere» 
die die Mutter Natur er- 
zeugt hat« lind keine Ein* 
zeltiere» sondern Stöcke 
oderKolonien vonTieren« 
und zwar Ursprünglich von 
Medusen* Die einzelnen 
Personen dieser Stöcke 
haben infolge weitgehen- 
der Arbeitsteilung eine 
sehr verschiedene Gestalt 
angenommeOf so daB man 
ihren wahren Medusen- 
charakter oft nur schwer 
erkennen kann. 







/ 



llnien: Eine Staatsqualle mit einer Schwimmblase» an deren unterer Seite die zahlreichen Einzelpersonen. 
FreBpolypen» Fuhlpolypcn* Fangpolypen« Geschlcchtspcrsonen sitzen. Oben linkst Untere Ansicht des Zentral- 
siphon von Porpila, rechtst Unterseite der Zentralschcibe von Porpita« (Aus Fjtis! Hackd. die Si|4t.'«rK'(>hor<a der 

Ctia!.i:ngcr*Rci«e.} 


Digitized by Google 


39 



Staatsqualle mit eiii<r Schwimmblase am oberen Körperende) darauf folfjcod mehrere 
Reihen von Schwimmglocken und am unteren Ende derselben die FreBpersonen, Gcfuhlspersonen, Geschlechts* 

^rsooen* Oben: Querschnitt durch die Luftblase einer Staatsqualle (linlw) und Ansicht von oben (rvchts). 
r Untm: Zwei Scheiben- (medusen*) förmige Staatsquallen » bei denen die Einzelpersonen in konzentrischen 

Ringen auf der Unterseite der Scheibe entspringen. Unks: Ansicht von der Seite» rfcbt»: von unten* C" I 

fAua llrnat Die Siphoiidphoreft der CtijJIenfer'Reise.) J20U Dy VjOO^lC 


40 



Eine Suatsqualle. von der Seite und von unten gesehen» die wahrscheinlich ein Bewohner der Tielsee ist. 
Am oberen Ende eine Schwimmblase« darunter ein mehrreihiger Ring von medusenförmigen Schw’imm* 
glockcn. unter diesen dte Krebpersonen, Tast* oder GeluhUpersonen. Geschlechtspcrsonen. C\us ILrmi IWdtd. 

li'O Si, li.'n.'ptK'reii der CI .iK«'tteer»’R«* »e.) 

: ■ , ' ; [ r C IV ll, 



Ernst Haeckel: Aus dem Schönheitsalbum der Natur 



Linke Kcihc ^von oben nach unten); Getürmter KorterKscli. 
Bunte Springsptnne (Deutschland). Blaukappen-Kolihri 
(Insel Juan Fernandez). 

Rechte Reihe: Siphonophorc oder Staatsqualle, von unten ge- 


(Aus t*Kunsifornirn der Njitur**. 
Von Ernti H«fckcl. Mit FrUubn!« de« 
Hthito^raphtschen Insiiiuff, Lcipfi£.» 


sehen. Stcrn-SchilJkrötc (Siid-Afrikai. 


Digitized by Google 


Dr.W. Breitenbach: 

Formenschatz der Schöpfung* 


ine wunderbare Nacht auf dem tropischen Atlantischen Ozean. Die Sonne 
ist mit einer unerhörten Farbenpracht untergegangen, von der man sich 
auf dem Lande keine auch nur annähernd richtige Vorstellung machen 
kann. Schnell wird es dunkcL Die Sterne des Südens, die auf den 
Nordländer einen so geheimnisvollen Zauber ausüben, erglänzen. Unser 
kleines Segelschiff, ein Zweimast-Schoner, auf dem ich die drei Monate dauernde 
Reise von Südbrasilien nach England machte, schießt mit erheblicher Geschwindig- 
keit, getrieben von einem kräftigen Passatwind, durch die nicht sehr hohen Wellen 
des Ozeans. 


I 


Ich stehe am Bug des Schiffes und bewundere inomer wieder das herrliche Schau- 
spiel des Meerleuchtens. Das Wasser, das an den Seitenwänden des Schiffes aufspritzt, 
scheint aus flüssigem Feuer zu bestehen. Jeder Tropfen scheint ein Feuerfunken zu sein, 
und unwillkürlich werde ich an das Funken^rühen erinnert, das man beobachtet, wenn 
in einer Eisengießerei oder in einem Hochofenwerk das geschmolzene Eisen aus dem 
Ofen abgelassen wird. 

Das gleiche Feuersprühen wie an der Schiffswand zeigt sich auch ringsum auf der 
endlosen Wasserfläche des Meeres. Wo die Wellenkämme sich begegnen und die oberen 
Wasserschichten in Strahlen und Tropfen ause i nanderreißen , dasselbe unvergeßliche 
-SchauspieL Überall aufspritzendes Feuer, aber nicht greü und blendend, sondern sanft 
und milde, mit geheimnisvollem Schimmer. Sieht man näher zu, so scheint die ganze 
obere Wasserschicht aus utuähligen leuchtenden Punkten zu bestehen, die unaufhörlich 
ihren Ort wechseln. Bald sind sie größer, bald kleiner, hier treten sie mehr vereinzelt 
auf, dort zu großen Massen vereinigt. Oft scheint die Oberfläche des Meeres auf weite 
.Strecken hin eine einzige leuchtende Schicht mit milchigem, phosphoreszierendem Licht 


Haotd 6 


Digitized by Google 


44 


Xtt sein. Und aus dieser Licfitschicht leuchten an manchen Stellen g^röSere Lichter auf, 
die mit den WeUen auf- und niedertanten, bald gane yerschwinden, dann wieder an 
anderen Orten einzeln oder gruppeoweise neu erscheinen. Ein immer wec h se ln des wunder- 
volles Schauspiel, das die Mutter Natur uns in diesen warmen Breiten zu beiden Seiten 
des Äquators oft vorffihrt, das wir aber nie müde werden zu betrachten. 

,3s ist ein ewigfcs Leben, Werden und Bewegfen in ihr und doch rückt 
sie nicht weiter. Sie verwandelt sich ewigf und ist kein Moment Stillstehen 
in ihr." (Goethe.) 

Welche Mittel hat die Natur, diese g;randiosen Feuerkünste auszuführen, die keines 
Menschen Konst nachmachen kann, auch wenn sie alle Hilfsmittel der heutigen Technik 
anwendetei Da unser Schiff ruhig seine StraBe zieht, kann ich nach bewahrter Methode 
mit einem an einem langen Stiel befestigten Gefäß mit einiger Übung mehrere der 
grüßeren Lichtpunkte einfangen und an Bord näher betrachten. Es sind meistens 
Medusen und Quallen, oft auch sogenannte Feuerwalzen (Salpen), die das Licht von sich 
geben. Und um die Erreger der kleineren Lichtpunkte und des allgemeinen Lichtscheins 
kennen zu lernen, holen wir einige Eimer des leuchtenden Wassers an Bord. Steht es 
in den Eimern stiU, bewegt es sich nicht, so leuchtet es auch nicht; rühren wir aber mit 
der Hand lebhaft in dem Wasser umher und spritzen wir es an Deck aus, so scheint es 
sich mit Licht zu erfüllen; die umherspritzeoden Tropfen leuchten wie das Wasser um 
uns her im Ozean. 

Schon mit bloßem Auge kfini^n wir unterscheiden, daß einzelne Lichtstrahlen vim 
winzigen, sich lebhaft bewegenden Tierchen ausgehen, vielfach von kleinen Krebschen, 
die milliardenweise an der Oberfläche des Meeres leben und die einen wesentlichen 
Bestandteil des sogenannten Planktons bilden. Bei anderen, kleineren Lichtpunkten 
künnen wir nicht genau feststellen, woher sie stammen, wir müssen uns auf den neuen 
Tag vertrfisten, um das Wasser mit dem Mikroskop zu untersuchen. Wohl erkennt 
man hier und da kleine, eben sichtbare Kügelchen, bald einzeln, bald zu Gruppen ver- 
einigt, aber nur das geübte Auge des marinen Zoologen könnte uns über deren Natur 
sogleich Auskunft geben. 

Jenes wunderbare Instrument, das wir wahrscheinlich dem Holländer Leuwenhook 
zu verdanken haben und das die Leistungsfähigkeit unseres Auges fast bis ins Unendliche 
gesteigert hat, das Mikroskop, klärt uns am anderen Morgen bald auf. Wir finden im 
Wasser winzige einzellige Pflänzchen, die nur an der Oberfläche des Meeres leben und 
die Umahrung aller Meerestiere darstellen; wir entdecken zahlreiche, dem bloßen Auge 
gar nicht oder eben als kleinste Punkte sichtbare einzellige Tiere, Urtiere, die gleich 
tenen Urpflanzen die merkwürdige Eigenschaft haben, bei Dunkelheit und bewegtem 
Wasser Licht zu erzeugen, gleich den Johanniswürmchen unserer warmen Sommernächte 
oder manchen Pilzen, die auf faulendem Holz und vermodernden Blättern des Waldes 


Digitized by Google 



45 


waduea. Alle diese kleinen Urtiere and Urpflanzen oder doch viele derselben müssen 
wir als die Erzeugfer des Meerleachtens betrachten. Eine grofiartig;e Illustration des 
bekannten Wortesi Natur schafft mh Kleinsteffi das Größte." 


uft schon die Tatsache, daß gerade die als Individuen fast unsichtbaren 
kleinsten Lebewesen eine der großartigsten, herrlichsten Naturerscheinungen 
verursachen, unser Erstaunen wach, so steigt unsere Verwunderung, wenn 
wir einzelne dieser Kleinsten unter den Kleinen näher untersuchen. Wir 
haben einen Teil des Meerwassets, in dem am Abend und in der Nacht 
das Leuchten besonders lebhaft war, in ein großes durchsichtiges Glas gefüllt und können 
nun bei Tageslicht eine genauere Prüfung seines Inhalts vornehmen. ^Nach einiger Übung 
unterscheiden wir oft schon mit bloßem Auge, sonst aber mit einer guten Lupe, kleine 
Kugeln, die von einer milchig schimmernden Gallertschicht umgeben sind, und aus dieser 
Gallerthülle ragen nach allen Seiten, den Strahlen der Sonne verglekhbar, feine Fäden 
heraus, die sich bald verkürzen, bald zusammenziehen. Die ganze Herrlichkeit der Meeres- 
fauna tut sich nun vor unsem Blicken auf. 


Die moderne Naturforschung hat in den letzten Jahrzehnten viele Tausende dieser 
bisher meist verborgenen Schönheiten aus dem Ozean hervorgeholt, aber sie sind bis vor 
kurzem doch nur wenigen Menschen bekannt geworden, da die Beschreibungen und Ab- 
bildungen nur in schwer zugänglichen, in den Bibliotheken vergrabenen großen zoologischen 
und botanischen Monographien enthalten waren. Die Naturforscher, die diese kunstvoll 
gestalteten Tiere und Pflanzen abbildeten und beschrieben, dachten in der Regel nicht 
daran, daß sie für die Kunst oder das Kunstgewerbe irgendeine Bedeutung haben könnten. 
Die Künstler aber, die die Wichtigkeit neuer, interessanter Naturformen zur weiteren Aus- 
gestaltung des Kunstgewerbes sofort erkannt haben würden, wußten nichts von der 
Existenz dieser wissenschaftlichen Werke mit den Hunderten und Tausenden von Tafeln, 
auf denen die neu entdeckten Naturformen abgebildet waren. 


Digitized by Google 


46 


1 war es am Anfang; des g'eg'enwirtigfcn Jafirhunderts einer unserer ersten und 
bekanntesten Naturforscher, der sich entschloB, die Terborgfene Schatzkammer 
zu Offnen und dem g;ebildeten Publikum im allg;emeinen, sowie dem Kunst- 
fewerbe im besonderen eine Sammlung; von. „Kunstformien der Natur" 
▼orzulegen. Professor Ernst Haeckel in Jena g;ab unter diesem Titel ein 
großes Tafelwerk mit fOO meist farbigen Tafeln heraus, das eine Fälle der schönsten 
und interessantesten Kunstformen aus den verschiedensten Klassen des Tier- und 
Pflanzenreichs enthält. Seit er bei Johannes Müller in Berlin studierte, hat sich 
Haeckel (geboren am 16. Februar (S34 zu Potsdam, seit i&6t Professor der 
2kx>log;ie in Jena, seit wenigen Jahren im Ruhestand in Jena lebend) vorwiegend mit 
der Untersuchung der wunderbaren Tierwelt befaßt, die an der Oberfläche des Meeres 
lebt und den niederen Klassen des Tierreichs angehOrt. Haeckel hatte von Jugend 
an ausgesprochen künstlerische Neigungen, so daß er gelegentlich seiner ersten 
Rebe durch Italien fast im Begriff stand, die Zoologie an den Nagel zu hängen und 
Landschaftsmaler zu werden. Nicht zum wenigsten bt es sein Sch&nheHssinn gewesen, 
der ihn immer wieder den geliebten , 4 >iederen Seetieren" zugeführt hat, deren Gestalten- 
ffille und Farbenpracht unerschöpflich zu sein scheint, wie schon die Auswahl zeigt, die 
wir auf einigen Tafeln unseres Buches wiedergeben. 

Hauptsächlich waren es bestimmte Abteilungen der Urtiere und Nesseltiere, die den 
iungen Naturforscher fesselten und denen er lange Jahre seine beste Kraft gewidmet hat. 
Schon im Jahre 1362 konnte er nach eingehenden Forschungen in Messina seine erste 
große ,, Monographie der Radiolarien" herausgeben. 

Das was an diesen Wesen lebt, also das lebendige Tier, ist eine einfache Zelle, ein 
Stückchen Protoplasma mit Kern. Was die Radiolarien oder Strahlinge, wie Haeckel 
den Namen verdeutscht hat, vor anderen verwandten Urtieren auszeichnet, ist der Besitz 
einer sogenannten Zentralkapsel, einer von einer festen Haut gebildeten Kapsel, dttreh 
die der Zellenleib des Tieres in einen inneren und äußeren Teil zerlegt wird. Die Zentral- 
kapsel ist mit wenigen oder zahlreichen Öffnungen durchbohrt, durch die das innere 
Protoplasma, in dem sich auch der Kern der Zelle befindet, mH dem außerhalb gelegenen 
in dauernder Verbindung steht. Von dem äußeren Protoplasma gehen auch die zahl- 
reichen strahlenförmigen Protoplasmafäden, die Scheinfüßchen oder Pseudopodien aus, 
durch die das Tier seine Nahrung fängt und die zugleich auch als Tast- oder Fühlorgane 
dienen. Diese Scheinfüßchen durchsetzen die Gallertschicht, die das Radiolar oft außen 
umhüllt und die meistens durch bläschenförmige Hohlräume gelockert erscheint. Die Fort- 



Digitized by Google 



47 


pflAnztm; der Strahliogfc erfolgt, tOTiel m«n bis jetzt weiß, g:ewöhnlich durch sogfeiuumte 
Schwäraisporen» die sich innerhalb der Zentralkapsel bilden. 

So einfach sonach der Bau des Radiolorien-Or^anisfflus selbst ist, so staunenerregend 
und wunderbar sind die Leistungen, die eine solche einzelne Zelle auszuffihren imstande 
ist. Die Strahltierchen bauen sich gewöhnlich aus der dem 'Wasser des Meeres entnommenen 
Kieselerde, manchmal aber auch aus einem anderen Stoffe, Gerüste oder Skelette, die an 
Zierlichkeit der Ausführung und an Mannigfaltigkeit der Grundform alles übertreffen, 
was die Natur sonst herrorgebrocht hat. 



Jer große Zoologe und Physiologe Johannes Müller (gest 1858) hat zuerst 
die Radiolarien wissenschaftlich untersucht und eine kleine Anzahl von ihnen 
genau beschrieben. Einer seiner jüngsten Schüler, Ernst Hoeckel, hat, wie 
schon erwähnt, die Arbeit seines Meisters fortgesetzt und konnte schon im 
Jahre 18ö2 170 verschiedene Arten beschreiben. Die große englische Ex- 
pedition des „Challenger" (1874 — 7ö) brachte sodann ein unerhört reiches Untersuchungs- 
material mit heim, das Hoeckel bearbeitet hat. Er konnte nach mehr als zehnjährigem 
Studium dieses einzig dastehenden Rodiolorienmuseums fast 4000 Arten unterscheiden 
und beschreiben und über 1000 von ihnen auf 140 Tafeln seines großen Challenger -Werkes 
abbilden. Alle unsere Figuren auf den Blättern 17 — 23 sind diesem Werke entnommen. 
Spätere Expeditionen haben noch immer mehr Arten zutage gefördert, und auch die 
große deutsche Plankton-Expedition des Schiffes „'Valdivia" unter Leitung von 
Prof. Carl Chun-Leipzig hat die Zahl der Strahlinge bedeutend vermehrt, so daß jetzt 
schon weit über 4000 Arten bekannt sind. 


Digitized by Google 



43 


e Mehruhl dieser interessjmten Lebewesen erscheint uns Menschen schSn, 
d. h. sie befriedigten unser ästhetisches Gefühl. Die Ursachen dieses Lust- 
gtefühls, dieser Freude am Schönen zu 'ergtründen, ist nicht die Aufgtabe 
der Naturforschungt, sondern der] Aesthetik. Immerhin aber dürfen wir 
auch hier betonen, dafi es wohl in erster Linie die Symmetrieverhältnisse 
des Körperbaues sind, die diese Schönheit vieler Naturkörper bedingen.^ Die symmetrische 
Anordnungf der Teile um einm Mittelpunkt, um eine Achse oder zu beiden Seiten einer 
Ebene, die rhythmische Aufeinanderfolge gleicher oder ähnlicher Teile, die regelmlBige, 
auf einer mathematitch bestimmbaren Grundform beruhende Gestalt des Ganzen und 
seiner Teile rufen in unserem Gehirn ähnliche Lustgefühle hervor wie etwa die Musik 
mit ihrer Aufe i nan d erfolge und Nebeneinanderstellung reiner und abgestimmter Töne. 
Die Fähigkeit der Naturkörper, nicht nur der lebendigen, sondern, wie wir noch sehen 
werden, auch der sogenannten toten, leblosen, anorganischen Materie, solche regelmäBigen 
Gestalten anzunehmen, ist offenbar eine Eigenschaft des Stoffes im allgemeinen und des 
lebendigen Stoffes, des Protoplasmas, im besonderen. Und auf diese Eigenschaft wird 
auch wohl in letzter Linie unser eigener Schönheitssinn zurückzuführcn sein; denn unser 
Körper besteht )a selbst aus diesem Lebensstoffe, dessen erstaunliche Eigenschaften wir 
um so mehr bewundern, je beser wir ihn kennen lernen. 

Man betrachte die Bilder auf Sehe 17 — 23 und man wird schon aus dieser kleinen 
Anzahl sich eine ungefähre Vorstellung von dem Formenreichtttm und der Schönheit der 
zierlichen Skelettbildungen bei den Radiolarien machen können. Im einfachsten Fall 
besteht das Skelett aus losen Nadeln von verschiedenster Gestalt, die in der die Zentral- 
kapse! umgebenden Gallerthülle liegen; oft hat das Skelett die Form eines einfachen 
Ringes oder auch eimn Dreifufies; an diese Grundlagen setzen sich dann in mannig^ 
faltigster Weise Balken und Stäbe an, die sich verzweigen, miteinander verbinden und 
so ein außerordentlich verschiedenartiges Netzwerk bilden. Vielfach bildet das Skelett 
eine einfache, meist kugelige Schale, die von zahlreichen Löchern oder Poren durchbohrt 
ist und von deren Oberfläche Stacheln oder sonstige Bildungen nach allen Seiten aus- 
strahlen. Zuweilen liegen iimerhsdb dieser äußeren Gitterschale konzentrisch noch mehrere 
andere eingeschachtelt; die inneren sind dann mit den äußeren durch radiale Stäbe ver- 
bunden. Die ursprünglichen Gitterkugeln können auch ovale oder eiförmige Gestalt an- 
nehmen, oder sie sind zu flachen Scheiben abgeplattet, die ein außerordentlich zierliches 
Filigranwerk von Maschen aufweisen, das für weibliche Häkel- oder Stickarbeiten gute 
Vorbilder abgeben oder auch den Goldschmieden und Juwelieren als Modell für Schmuck- 
sachen dienen ^ann. 



Digitized by Google 



49 


Bei einer g;anzen Abteilung: ^ Radiolarien letzt sicli das Skelett aus von einem 
Mittelpunkt auastrablenden rdUalen Stacheln zusammen, die nach einem eigentümlichen 
Gesetz angeordnet sind, ln gewism Entiernudg vom Mittelpunkte können an diesen Stacheln 
allerlei Abzweigungen, Arme, Äste u> dergl.' ^entstehen. Indem diese Arme zusammen- 
wachsen, bilden sich die mannigfaltigsten GlHerschalen von oft überraschend schöner 
Form. Wieder andere Skelette erinnern aa Helm^Köabchen, Röckchen, oder sie stellen 
Kronen und Ordenssteme dar, die bei der Neuschöpfüitg von Dekorationen ausgezeichnete 
Dienste leisten könnten. Bei einer Abteilung der Strahlnlge sind die Skelette aus hohlen 
Kieselröhren zusammengesetzt, die oft zu sehr zierlichen ybd erstaunlich verwickelt ge- 
bauten Systemen zusamnaentreten. Zuweilen findet sich b^Ndiebco Strahlingen auch eine 
tweiklappige Schale, wie wir sie in großem MaBstabe v^^^en M^ischeln her kennen. 


/ 






KUe Radiolarien halten sich lebend an der Oberfläche oder in geringen Tiefen 
des Meeres auf. Wenn der Weichkörper, die ZeQe, abgestorben ist, sinken 
die Kieselskelette langsam in die Tiefe hinab und bilden hier an be- 
stimmten Stellen ganze Schichten von Radiolarien-Schlamm. Legt 
man eine wisuige Probe dieses Schlammes nach sorgfältiger Reinigung 
und Vernichtung der organischen Substanz in ihm untn das Mikroskop, so hat man 
oft 50 — 100 oder noch mehr verschiedene Skelettformen in zsthlreichen Exemplaren vor 
sich, ein wahres mikroskopisches Radiolarienmuseum, dessen Anblick jeden Natur- 
freund und Künstler in Entzücken versetzt. 



Schon in den ältesten Urweltstagen, in der präkambrischen Zeit, haben Radiolarien 
gelebt. Man hat ihre Kieselskelette in verschiedenen Gesteinen wohlerhalten gefunden und 
in einzelnen Gegenden, z. B. auf der Antilleninsel Barbados, sind sie der Hauptbestand- 
teil ganzer Gebirgszüge. Aus diesem Mergel von Barbados sind allein gegen 500 
verschiedene Skelettformen bekannt Es verdient hervorgehoben zu werden, daß viele 
dieser sdten Formen noch heute lebend Vorkommen ; auch in Sizilien, Csdabrien, Griechen- 
land, in Nordafrika, in Nord- und Südaxnerika, auf den Nikobaren und auch in den 
Alpen, in England und bei uns (z. B. bei Haldem in Westfalen und Vosdorf bei Braun- 
schweig) sind Strahlinge gefunden worden, so daß man deutlich erkennt, daß diese 
Tierchen in vergangenen Perioden der Erdgeschichte eine ebenso allgemeine Verbreitung 
gehabt haben wie in der Gegenwart. 

Ihre Bedeutung in der Gegenwart und für uns ist eine vielseitige. Sie zeigen uns, 
welch ein wunderbarer Baukünstler eine einzelne, isoliert im Meerwasser lebende tierische 


Digitized by Google 


50 


Zelle bt, wie sie, ohne doch verwickelt gfebaote Organe und spezialisierte Werkzeuge za 
besitzen, die aus dem Wasser abgeschiedene Kieselerde benutzt, um die zierlichsten, kunst- 
vollsten Gebilde mit mathematischer Regelmäßigkeit hervorzubringen, in einer solchen 
Mannigfaltigkeit der geometrischen Grundform und der Ausffihrung in den unübersehbar 
verschiedensten Einzelheiten, daß die blühendste menschliche Phantasie nicht imstande ist, 
ähnliches hervorzubringen. Die feste Substanz der Kieselerde wird von einem winzigen, 
mikroskopisch kleinen Klümpchen Protoplasma zu Gebilden umgeformt, die ein vollen- 
deter Künstler nicht exakter herzustellen vermöchte. Die unerschöpfliche Schöpferkraft 
der Natur feiert in diesen kleinen Kunstwerken ihren größten Triumph und fordert die 
menschliche Kunstfertigkeit geradezu zur Nachahmung und Nachbildung heraus. 


bleibt das unvergängliche Verdienst Haeckels, nicht nur als Zoologe diese 
und andere Abteilungen niederer Tiere wissenschaftlich SMgfältig untersucht 
zu haben, sondern daß er, selbst ein hervorragender Künstler, auch deren 
künstlerische Eigenart voll erfaßt und versucht hat, sie für die Allgemeinheit 
und besonders für das Kunstgewerbe nutzbar zu machen. Nachdem Haeckels 
Tafelwerk, die ,4^unstformen der Nattir“, zum erstenmal weiteren Kreisen die künst- 
lerischen Schatzkammern der Natur geöffnet hatte, war man nach und nach auf diese 
mehr oder weniger mikroskopische Märchenwelt aufmerksam geworden und seit wenigen 
Jahren bemüht man sich erfolgreich, diesen verborgenen Schönheiten luchzugehen, den 
Formenschatz der Schöpfung zu heben und nutzbar zu machen. 

Noch sind diese Schönheiten weiten Kreisen ein Buch mit sieben Siegeln. Es geht 
ihnen wie es einst den Alpen ging. Auch deren erhabene und gewaltige Schönheiten mußten 
erst von einigen auserlesenen Menschen entdeckt werden und dann hat es noch lange, 
lange Jahre gedauert, bb Tausende und Hunderttausende den ganzen Zauber des Hoch- 
gebirges empfinden konnten. Aehnlich ist es auch mit den mikroskc^ischen Schönheitea, 
die überall in der Natur, in der leblosen wie in der lebenden, zu finden sind. Auch zu 
ihrem Verständnis müssen die Menschen erst nach und nach erzogen werden. Unser 
vorliegendes Buch soll die Freude an diesen Erscheinungen und Gebilden wecken, das 
Verständnis für ihre Gestaltungen anbahnen und im Genuß ihrer Schönheit dem Kunst- 
sinn Anregung bieten. 



Digitized by Google 


5J 



KLunst und Symmetrie im Leblosen. Unke Reihe: Aufspriticnde Flüssigkeit beim Einwurl einer kleinen Kugel 
in Wasser (Momeniphotognphien). Rechte Reihe und tnittlerc oi»cn; Durch Dtllusion» d* b« einen Mischungsvorgang von Flüssig* 
keiten verschiedener Dichte« unwillkürlich» ohne Zu'un entstandene Figuren il’hoiographien aus „Mikrokosmos". FranckKsdie 
N'ciiogshandlunf, Sruiifon). ln der Mitte unten: Hohlriumc» die sich in der Einschlußmatse mikroskopischer Präparate von 

selbst bilden (Phoiosraphir von E. Reukauf. Weimar). 




Digitized by Google 




52 



Kristaliformen (voa H. Sdtcnk). Tropfen verschtedeoer Salsidsungen» auf dem Objektglas des Mikroskops loffi 
fCHstallisieren gebracht* (Aus „Njturformcn" t. Serie. Mikroskoplsdte Vorbilder Praodrhsdkc Verlsgslundtuiis, Siuttgon.) 




53 



Flüssige KristAlle (in den S«itcnfcMcrn ringsum] und feste Kriststlc (in der Miite). 
(Photographien von Professor Dr. Oao Lehmann. Karlsruhe L B.) 


Digitized by Google 


54 



Metalle unter dem Mikroskop* Ol-m: SchnittstcUcn von Kupferdraht* I50fach vergröfiert. (Au* wMikrokosmrt*, 
I-ran«KI.4<fte V'rrUK^Itan'lltinf:, Siuti;;.'iri.) Untm; Struktur von Rotguß» Bronse» Grauguß* (Bri (rerrrrm rrkmnbar sdiwarsc Adrr? 
von Graphic. lowiv*, heller. Ferrit un<l phosphorH.i!i;.?e Ennl.tgenmrcn ) In der Mit:«: SlCgCrländtr Spieg«I«isen (U«ki) und Obcrflüch« 
eines langsam erkalteten Antimonblocks« (l>ic EUlckr in der minieren und unteren Knhe mit Cenehmiruttg der A. C. O.« Ber'i'v: 





55 



Urpflanzen. I.inke Reihe: ICttSclAlgm und DiAtomeenerdc« (Ai:i „Franc/, teben der i’flanzc". FranAhsHie VcrUij^itundiun;, S'uit* 
garr.) Rr<trc Reihe (von oben narti unten:: Blaualgenfäden in gemeinsamer Gallertkugel; Planktoo-Kicsclalge det Meeres} 
belmförmigc GiirteUIge und Plankton-Kieselalge des Meeres. (Mikr.'j'hs't.vraphien von M. Reukjuf. \X eimar.) 

by Google 


56 



OI>c:i: Zahlreiche verschiedene Dutomeenformen (links). Diatomeenschale) strahlig gefaltete Sonnenschildalge (rtdirs). 
rhoro^rjphien von K. Dirdrricht, Hutin. ln Her Mine: Stück vom Pleurosigma (Kieselalge). 1300 mal vergrößert (Mikrophotojrraphie 
von IL Mjy. Cs«h^tz). Utucn: Dreiborn-Kietelalge (ln der Mitte). Photographie von K. Diedcridks, liutln. Stemartige mehrzellige Grünalge 

(rediti und links). PhoiogriiplUc E. Reukauf, Vl'eimar. 



57 



(Voo liaks ud» redtis.) Oben: Aestc voixi gewlmpcrtcn HorntAng (40 (ach)* Schlcimpilx ((^otographica von H. May, 

Osdiatz). Unten: SproBpUx 'Verband aus BIutcn-NcktaHen fhtoiographk von E. Reukauf, Vi'eimar). Jocbalgen in Con' 
fogation (Phofofraphtc von R. May, Otdiat:}. Perlschnurförmigc Blauatge* Schraubenalgen mit Blattgrünbändcm (Photo« 

graphien von L. Reukauf. W etfnar). 

Digitized by Google 



58 



Mikroskopische Einblicke in das Pflanzenlcben. (Von imks na<t< nrfin.j Obrn: Ficdcmarbe vom Roggen, mit 
Ansitzenden Blutenstaubkörnchen (Mikropbo<oi;r;i(»hic von L. Reukjuf, VTdmar). Vegetationskegel (Sproßscbeitel) des T anneo* 
Wedels* Ui'Kierxcits nin<i iün;;ttim R!.itr4nb.<«n vrkitrnnbar. O'borographie von B. May. Osduis.) Urnen Ont Kfvis): SpOfentchlöucbc der 
Speisemorchel. Den Rahmen bildet die stark vergrößerte Haut der vtrginischen Tradetcantie mit Spaltöffnungen 
(Rhoiogrjptiie von l Lins Uopter, Mündien). Weizenkoro» Längsschnitt (Aus: rr^nc.^ I eben <kr Rfianrc. Frandhsdic Veriaffshamituns, SruixgaMl- 


59 


■ aßet der Beobachtung: der Strahlentierchen hat sich Haeckel der Er- 
forschung: der Medusen und Staats- oder Rdhrenquallen g:ewidmet, 
welche Tierklasse eine Fülle der wunderbarsten und herrlichsten Tiere 
enthält. Während man die reisenden und unendlich mannigfaltig:en Skelette 
und Gerüste der Radiolarien, wenn man sie ohne den Weichkörper der 
lebenden Zelle betrachtet, aus der ein einseines solcher Strahlentierchen besteht, als 
Kristalle beseichnen möchte, ist für die Medusen und Staatsquallen der Ausdruck Blumen 
und Schmetterling:e des Meeres vielleicht am ang:ebrachtesten. 

Wer als Laie sum erstenmal unbefang:en die Bilder von Polypen, Medusen und 
Staatsquallen betrachtet, wie sie in mannigfachen Formen die Bilder dieses Werkes wieder- 
geben, wird in diesen sonderbaren, strahlig und symmetrisch gebauten Gebilden kaum 
Tiere vermuten; er wird sie eher für Pflanren, für Blumen und Früchte halten. Wer 
aber einmal selbst gesehen hat, mit welcher Eleganz sich diese in allen Farben prangenden, 
wie Kristall durchsichtigen, ätherischen Tiere im Wasser wie spielend bewegen, wer das 
Spiel ihrer oft außerordentlich dehnbaren Fühl- und Fangfäden, das rhythmische Auf- und 
Zuklappen ihres glockenförmigen Körpers stundenlang beobachtet hat, ohne zu ermüden — 
deim immer entdeckt man neue Reize, wie bei den anmutig:en Bewegungen einer schönen 
Tänzerin — , der vergleicht diese herrlichen Wesen unwillkürlich mit den buntschillernden 
Schmetterlingen, die an warmen Sommertagen über blumige Wiesen hingaukeln und sich 
bald hier, bald dort auf einer Blume niederlassen oder sich in neckischem Liebesspiel 
gegenseitig verfolgen. 

Haeckel hat auch über die Medusen und Staatsquallen die ersten großen Mono- 
graphien mit vielen schönen Tafeln und Abbildungen veröffentlicht, denen eine Anzahl 
Figuren auf den vorstehenden Tafeln entnommen sind. Mir selbst ist der Tag in steter 
Erinnerung geblieben, an dem ich zum erstenmal lebende Medusen untersuchen konnte, 
nachdem ich sie vorher oft genug von Bord des Dampfers aus, der mich nach Brasilien 
brachte, gesehen hatte. Es war im Hafen der Stadt Bahia im tropischen Nord-Brasilien. 
Als unser Dampfer in die schöne Bucht einlief, schwammen in ihrem klaren Wasser 
Tausende von durchsichtigen, tellergroßen Medusen umher, von denen leicht mit Hilfe 
eines Eimers beliebig viele an Bord geholt werden konnten. Mit welcher Freude und 
mit welchem Genuß ich als junger Naturforscher, der eben erst aus Haeckels Unterricht 
kam, nun diese prachtvollen Tiere untersuchte, zerlegte und zeichnete, das kann nur 
der mir nachfühlen, der in ähnlicher Lage war und dessen Sehnsucht es seit langem 
gewesen ist, einmal lebende Medusen sein eigen zu nennen. Für uns Landratten gehören 
sie einer neuen Welt an, die zuerst ganz fremdartig berührt, die aber bald durch den 
Zauber, der von ihr ausgeht, in Entzücken versetzt. Staunend und bewundernd stehen 


H,«Sd S 


Digitized by Google 


60 


wir vor der unbeg^reiflichen Sclidpferkraft des Meeres, die in solcher grandiosen Ver- 
schiedenartigkeit der Formen und Farben die reizvollsten Geschöpfe hervorbringt, die oft 
aus mehr als 90 Prozent Wasser und aus einem oder weniger Prozent lebender Substanz 
bestehen und doch so kunstvoll und künstlerisch gestaltet sind, daß keine menschliche 
Phantasie Ähnliches ersinnen kann. 

Einmal auf meiner Rückreise von Brasilien nach Europa fuhr unser kleines Segel- 
schiff durch einen gewaltigen Schwarm schöner, bläulich schimmernder grofier Wurzel- 
qu allen. Nicht Tausende, sondern viele Hunderttausende schöngeformter Glocken mit 
herabhängendem Magenstiel, mit Mundatmen und dehnbaren Fang- und Fühlfäden 
(Tentakeln) schwammen durch die rhythmischen Zosammenziehungen ihrer Körper ruhig 
in dem ziemlich stillen Wasser der Tropenregion umher. Der ganze Körper dieser schönen 
Meerestöchter ist glasartig durchsichtig, so daß man ohne weiteres alle wesentlichen Teile 
erkennen kann. 

Es wurde bereits gesagt, daß man die in dem blauen, klaren Meerwasser ihres Weges 
dahiiuiehenden Tiere mit den bunt schillernden, in der Luft umherfliegenden Schmetter- 
lingen vergleichen kann. Jedoch der Vergleich hinkt, wie tJle Vergleiche; denn die Quallen 
sind meist gefräßige und gefährliche Raubtiere, während die Schmetterlinge sich nur von 
Blumensäften ernähren. Ihre Beute fangen die Quallen mit den gewöhnlich vom Glocken- 
rande herabhängenden Tentakeln, die oft über und über mit sogenannten Nesselzellen 
besetzt sind, mikroskopischen Schleuderwaffen, die oft gruppenweise angeordnet sind und 
förmliche Nesselpatronen und Nesselbatterien bilden. Millionen solcher Nesselzellen, 
deren mit einem Widerhaken an der Spitze versehener Faden sich in die Haut der zu 
ergreifenden Beute einbohrt und eine ätzende Flüssigkeit in die kleine Wunde ergießt, 
findet man oft bei einer einzelnen Meduse. Die Tentakeln, deren Zahl zwischen wenigen 
und Hunderten schwankt, können sich oft stark ausdehnen und zusammenziehen. Eines 
Tages fing ich mehrere Exemplare jener an der Oberfläche des Meeres schwimmenden, 
wundervoll blau gefärbten Staatsqualle Physalia, die die englischen Matrosen »Portugese 
man of war“, portugiesisches Kriegsschiff, nennen. Um die Dehnbarkeit der zahlreichen, 
von der Unterseite der stattlichen Schwimmblase herabhängenden Tentakeln zu erproben, 
ließ ich einen unserer Matrosen, der am Bug des Schiffes stand, die Physalia festhalten; 
ich selbst berührte die Enden einiger Tentakeln mit einem kleinen Stock, an dem sie 
sofort kleben blieben, und ging dann langsam rückwärts. Ich konnte mindestens 20 Meter 
weit gehen und noch immer dehnten sich die Tentakeln aus, bis sie schließlich z^issen, 
vermutlich aber wesentlich deshalb, weil sie an der heißen Tropensonne schnell trockneten. 
Hätte ich sie im Wasser ausziehen können, so wäre ihre Dehnbarkeit wohl noch größer 
gewesen. Bedenkt man nun, daß einzelne größere Quallen oft zahlreiche Tentakeln haben, 
die sich nach allen Richtungen ins Wasser hinein ausstrecken können, so sieht man sofort, 
daß die Tiere einen im Verhältnis zu ihrem Körper sehr großen Raum mit ihren stark 
bewaffneten Fangfäden bestreichen können. Bedenkt man weiter, daß viele Quallen in 
gewaltigen Scharen auftreten, so begreift man, daß ein solcher Quallenschwarm für in 


Digitized by Google 



6t 

seinen Bereich konunende kleinere Tiere, wie Krebse, Fische u. dg;!. auBerordentlich gt- 
fährlich werden kann. Größere Quallen, namentlich wenn sie in bedeutender Zahl auf- 
treten, sind schon oft badenden Matrosen verhknfnisyoll geworden. 

Die Medusen sind gfeschlechtlich differenzierte Tiere, d. h. sie erzeugen männliche 
Samenzellen und weibliche Eier. Bei einigen Medusen, besonders bei denen, die im 
offenen Meere, also weit von der Köste entfernt, pelagisch leben, entwickelt sich aus 
dem befruchteten Ei direkt eine neue Meduse. Bei anderen, namentlich bei denen, die 
sich in der Nähe der Küsten aufhalten, entsteht aus der befruchteten Eizelle zunächst 
ein ganz anderes 'Viesen, das dem äußeren Ansehen nach gar keine Ähnlichkeit mit 
einer Meduse hat. Es bildet sich nämlich nach einigen vorbereitenden Stadien der Ent- 
wicklung ein Polyp, ein röhresiförmiges Gebilde, das mit seinem unteren Körperende 
an Steinen, an Pflanzen, an Muschelschalen u. dgL festwächst und an seinem oberen 
Ende eine Öffnung, die Mundöffnung, hat. Um diese Mundpartie herum stehen, in der 
Regel ringförmig angeordnet, Tentakeln. Gewöhnlich findet man diese Polypen zu 
Gruppen vereinigt, oft wachsen sie aus einem gemeinsamen Wurzelgeflecht hervor. Der 
Laie wird diese Tiere beim ersten Anblick für Pflanzen halten, die Köpfchen mit den 
Tentakeln für Blüten. Dieser Eindruck wird noch verstärkt durch die lebhaften Farben, 
durch die viele dieser Tiere ausgezeichnet sind. 

Zu einer gewissen Zeit nun sprossen, meistens unterhalb der Tentakeln, an dem 
röhrenförmigen Körper der Polypen eigentümliche Gebilde hervor, vergleichbar den 
Blutenknospen oder auch den Früchten der Pflanzen. Aus diesen Knospen werden nach 
und nach Medusen, die sich loslösen und frei im Wasser umherschwimmen. Polyp 
und Meduse sind also genau genommen nur zwei Generationen desselben Tieres. Der 
Polyp erzeugt durch ungeschlechtliche Knospung Medusen, die ihrerseits auf geschlecht- 
lichem Wege, durch befruchtete Eier, wieder Polypen hervorbringesi. Diesen regel- 
mäßigen Wechsel zwischen einer geschlechtlichen und einer ungeschlechtlichen Generation 
nennt man Generationswechsel. Er kommt auch in anderen Abteilungen des Tier- 
reiches vielfach vor und findet sich auch im Pflanzenreiche. 

Es gibt auch Medusen, die ihrerseits durch ungeschlechtliche Knospung direkt 
Medusen erzeugen; sie knMpen entweder am Glockenrand oder am Magenstiel, der aus 
dem inneren Grunde der Glocke hervorragt. Hier ist also die Polypen- Generation ganz 
in Wegfall gekommen. 


Digitized by Google 



62 


0 r Fcstlaodbewohner, der ab und tu eins der Bäder an den Küsten der 
Nord- und Ostsee besucht, macht in der Rc^el wenigstens die Bekanntschaft 
einet bestimmten Qualle, der Ohrenqualle, Aurelia, und kann sich durch 
Berührung derselben leicht von der Wirkung der Nesselorgane überxeugen. 
Sie erzeugen auf der Haut ein Brennen und Jucken, das ähnlich dem ist, 
das die Berührung mh Brennesseln hervorruft. Ist schon eine solche Meduse für den 
Laien ein sehr fremdartiger Anblick, so steht er vollends ganz erstatmt da beim ersten 
Anblick eines Jener wunderbaren Meereswunder, das die Zoologen Röhrenquallen, Staats- 
quallen oder Siphonophoren nennen. 

Wenn solch eine Rührenqualle, wie sie zum Beispiel auf Seite 39 abgebildet ist, 
an der Oberfläche des ruhigen Meeres warmer Gegenden schwebt, so gleicht sie einem 
schwimmenden Blumenstock, dessen Blätter, Ranken, Blüten und Früchte wie aus lebhaft 
bunt gefärbtem durchsichtigen Kristallglas gebildet erscheinen. Die Formen der einzelnen 
Teile sind auBerordentlich zierlich und oft so zart und durchsichtig, daJB sie im Seewasser 
kaum wie ein Hauch oder Nebel wahrzunehmen sind. Die Bewegungen der Tiere sind 
leicht und einfach; oft schweben sie im ruhigen oder kaum bewegten Wasser sanft 
dahin, oft sind ihre Bewegungen schnell und energisch. Bald ziehen sich die einzelnen 
Teile des Tieres zusammen, bald dehnen sie sich aus; es ist ein immer wechselndes 
Spiel, das den aufmerksamen Beobachter aufs hüchste fesselt und entzückt. Die Natur 
hat kaum etwas Zarteres und Farbenprächtigeres hervorgebracht als diese wunderbaren 
Wesen, deren Körper, gleich dem der Medusen, aus über 90 Prozent Wasser besteht, 
während nur ein geringer Bruchteil lebende Substanz ist. Dem Laien und Binnenländer 
erscheinen diese Ozeantöchter geheimnisvoll und phantastisch und er weiB nichts Rechtes 
mit ihnen anzufangen. 

Der Zoologe sagt uns über sie kurz folgendest Die Röhrenquallen sind nicht einzelne 
Tiere, sondern Tierstöcke, Tierkolonien, vergleichbar etwa einem Baum oder einem 
Korallenstock. Die einzelnen Teile einer Röhrenqualle sind ursprünglich Medusen, die 
zu einer gemeinsamen Kolonie zusammengeschlossen sind. Die einzelnen Individuen dieser 
Kolonie oder dieses Staates übernehmen verschiedene Arbeiten für die Gesamtheit. Die 
einen besorgen die Fortbewegung (Schwimmglocken), die andern den Fang der Beute 
(Fangfäden), wieder andere fressen und verdauen die Beute und ernähren so den 
ganzen Stamm (FreBpoIypen), noch andere vermitteln den Verkehr mit der AuBenwelt 
(Fühl- und Tastpolypen) und schlieBlich befassen sich einige ausschlieBlich mit der Fort- 
pflanzung (Geschlechtspolypen). Alle diese ursprünglichen Medusen teilen sich also ln die 


Digitized by Google 



63 


Arbeit ffir den gfaruen Stock oder Stant. Infolge dieser Arbettsteilong wurde bei den 
einen dieses» bei den anderen Jenes Organ überflüssig and yerkümmerte» wurde rudimentär 
und yerscbwand mehr und mehr. Diejenigen Organe aber, die für die betreffende 
Funktion oder Arbeit in erster Linie in Betracht kommen, wurden erhalten und bildeten 
sich besonders aus. So haben die ursprünglich gleichartigen Medusen im Laufe der Zeit 
eine ganz verschiedene Gestalt angenommen, indessen kann man bei den meisten doch 
noch deutlich erkennen, dafi sie in Ihrem anatomischen Bau auf Medusen surückgeführt 
werden können. 

In der Zartheit und Durchsichtigkeit ihres Körpers, in der leuchtenden Pracht ihrer 
Farben, in der Eleganz ihrer Bewegungen haben diese wahren Meereswunder nicht ihres- 
gleichen. Sie sind würdig, von den Dichtem besungen und von Künstlern gemalt 
tu werden. 



Jon den ersten, bescheidensten Anfängen der menschlichen Kultur an bis 
heute hat die bildende Kunst ihre Vorbilder, ihre Modelle vorwiegend den 
Erzeugnissen der Natur entnommen, von denen der Mensch umgeben war 
und ist. Schon unsere alten Vorfahren in der Hunderttausende von Jahren 
hinter uns liegenden Steinzeit, die uns auf den Wänden der von ihnen 
bewohnten Höhlen oder auf den Geweihen und Knochen der von ihnen erschlagenen 
Tiere die ältesten Spuren einer Kunst hinterlassen haben, legten ihren Zeichnungen und 
Schnitzereien diejenigen Tierformen zugrunde, mit denen sie in täglicher Berührung 
waren. Ihre Kunstfertigkeit war schon so grofi, da£ wir in diesen Zeichnungen noch 
heute auf den ersten Blick Tiere wiedererkennen, die damals in Mitteleuropa lebten, 
heute bei uns aber längst ausgestorben sind. 


Diese zeichnerische oder plastische Nachbildung von Tieren aus der unmittelbaren 
Umgebung finden wir auch heute bei den noch existierenden wilden Völkern, die niemals 
mit höher entwickelten, zivilisierteren Völkern in Berührung gekommen sind. Der durch 
seine großen Reisen in Zentral -Brasilien bekannte Geograph Karl von den Steinen 
fand am Kulisehü, einem Nebenflüsse des dem Amazonenstrom angehörenden Xingü, 
Völkerstämme, die Bakairi und Verwandte, die zur Zeit ihrer Entdeckung noch voll- 
ständig in der Steinzeit lebten, die noch niemals einen weißen Menschen gesehen, niemals 


.Digitized by Google 


64 


ein Stfickchen Metall in ihren Händen {fehaht hatten. Bei diesen friedlichen und freund, 
liehen Indianerstämmen konnte Karl Ton den Steinen beobachten, daß die Anfäng^e 
aller Konst and Technik tatsächlich in einer Nachahmung; der Natur bestehen. 
Die Schuppen der Fische und Schlang;en dienen diesen Urmenschen als Vorbilder für ihre 
einfachen Ornamente, mit denen sie ihre Werkzeuge und Waffen schmücken. Bei der 
Herstellung von Töpfen und Gefäßen aller Art aus Ton oder aus Flechtwerk ahmen sie 
die Gestalten verschiedener, ihnen wohlbekannter Tiere nach, die sie vortrefflich, wenn 
auch natürlich nur sehr einfach, zu charakterisieren wissen. Atis Ton bilden sie bald 
flachere, bald tiefere Schalen, die sie mit Anhängen mannigfachster Art versehen, denen 
man auf den ersten Blick ansieht, weiches Tier als Vorbild gedient hat. 

Daß in solchen Ländern wie Brasilien der Körper der Tiere an sich als Modell 
zu Gefäßen und Töpfen benutzt wurde, kann nicht wundemehmen. Sind doch die 
Rückenpanzer der Gürteltiere oder der Schildkröten ohne weiteres die schönsten und 
brauchbarsten Töpfe und Behälter, die zu mancherlei Zwecken Verwendui^ finden können. 
Derartige Tiere werden also wohl schon frühzeitig zu diesen Zwecken benutzt worden 
sein. Nach und nach fand der Urmetisch an der Nachahmung und Modellierung der 
Formen Gefallen, und er gab seinen zunächst zu häuslichen Zwecken dienenden Erzeug- 
nissen dann auch bald die Gestalt anderer Tiere, mit denen er bekazmt war. In der Tat 
benutzen die Indianer am Xingü als Vorbilder bei der Erzeugung ihrer Gefäße fast 
alle ihnen zugänglichen Tiere. Karl von den Steinen fand folgende Tiere in deutlich 
erkennbarer Gestaltung nachgeahmt t Fledermäuse, Eichhörnchen, Marder, Faultier, 
Ameisenbär, Gürteltier, Sperber, Eule, Taube, Waldhuhn, Rebhuhn, Ente, Schddkrötea, 
Kaiman (Krokodil), Eidechse, Chamäleon, Kröte, Fische, Krebs, Asseln, Zecken und 
Insekten. Auch viele Früchte geben vortreffliche Vorbilder ab. Eine durchgeschnittene 
Kürbisschale ist ein brauchbares Trinkgefäß und wird auf seiner Außenseite oft und gern 
mit einfachen Ornamenten verziert. Noch heute ist in ganz Brasilien und anderen 
südamerikanischen Ländern die Cuya, ein kleiner Kürbis mit Zeichnungen auf der Außen- 
wand, das all verbreitete Gerät, aus dem der einheimische Mat6, der sogenannte Paraguaytee, 
vermittels dnes Röhrchens, der Bombilha, getrunken oder vielmehr gesogen wird. 


Digitized by Google 



65 


a itse Nachbildung von Naturprodukten als Beginn der bildenden Kunst des 
Menschen ist ein Gesetz, das wir nicht nur bei den noch heute lebenden 
^wilden'' Völkern beobachten, sondern das seine Gültigkeit bei allen Völkern 
und zu allen Zeiten hat. Die schlanke, hinunelanstrebende Palme wurde 
zum Urbild der Säule, die Lotosblume mit ihren Blütentellera und Früchten 
lieferte das Modell zu SchÜdem, Paletten und Tellern, der Blumenkelch ein solches zu 
Urnen und Vasen. Der deutsche Hochwald mit seinen laubgekrönten Buchen und seinen 
himmelaufwärtsstrebenden Fichten ist wiedetzufinden in den hochgewölbten Domen, deren 
Decke das Himmelsgewölbe TersinnbÜdlicht. 

Zu Beginn der menschlichen Kultur sind es mehr die Tiere als die Pflanzen, die 
zur künstlerischen Nachahmung reizen. Ganz natürlich, denn der schwere Kampf ums 
Dasein, den alle primitiven Völker zu bestehen haben, bringt sie in viel innigere 
Berührung mit dem Tierreiche denn mit dem Pflanzenreiche. Die Urmenschen müssen 
viele Tiere in ihren Eigenschaften genau beobachten, wenn sie sich ihrer mit Erfolg 
erwehren oder wenn sie solche zum Zwecke des Gebrauchs, zur Nahrung fangen oder 
erlegen wolleti. Außerdem werden die frei beweglichen, lebendigen Tiere auch in viel 
höherem Maße die Aufmerksamkeit der Menschen erregt haben als die an den Ort 
gebundenen Pflanzen, deren Lebensäußerungen verborgener sind. Dasselbe ist {a noch heute 
bei unseren Kindern zu beobachten, deren geistige und künstlerische Betätigungen so viel- 
fach mit denen primitiver Völker übereinstimmen, wie das nach dem biogenetischen 
Grundgesetze Haeckels (a auch leicht verständlich ist. Erst bei etwas vorgeschrittener 
Kultur, erst wenn die Völker seßhaft geworden sind, wenn sie anfangen, sich mit Ackerbau 
zu beschäftigen, erst dann fallen ihnen auch die Pflanzenformen auf, und sie suchen sie in 
der mannigfachsten Weise für ihre gewerblichen und künstlerischen Zwecke zu verwerten. 
Namentlich zum Schmuck und zur Omamentierung fester und größerer Geräte, von 
Geschirren, Werkzeugen und Waffen werden nach und nach immer mehr Motive aus dem 
Pflanzenreiche herangezogen. Das Blatt von Acanthus mollis lieferte im Altertum 
bekanntlich ein sehr beliebtes Vorbild zu den Arabesken an den Kapitälen der Säulen 
und wird zu diesem und zu ähnlichen Zwecken ja auch noch heute von unseren 
Architekten benutzt. Aus der Rose wurde die Rosette, aus dem Fächerblatt der Zwerg- 
palme oder dem abgeschnittenen Gipfel der Dattelpalme die Palmette. Die alten Ägypter 
können geradezu als die Erfinder des Pflanzenomaments bezeichnet werden, sagt Karl 
Wörmann in seiner großen Geschichte der Kunst, und besonders ein Stück ihres Pflanzen- 
omaments hat sich von Volk auf Volk, von Jahrtausend zu Jahrtausend vererbt. 


Digitized by Google 



66 


Diese umfassende und sclion frühzeitig auftauchende Benutzung der Pflanzenwelt 
für künstlerische Zwecke hat sich nicht nur bis heute erhalten, sondern sie hat yon 
Jahrhundert zu Jahrhundert zugenommen, und heute werden nsindestens 600 charakte- 
ristische Blatt- und Blütenformen in der Dekorationskunst und im Kunstgewerbe Ver- 
wendung finden. Zeichner und Künstler sehen sich Tag für Tag nach immer neuen 
Motiven um, um durch deren Stilisierung und Omamentierung immer neue, von dem 
wechselnden Geschmack der Mode geforderte Muster für Tapeten, Teppiche, Gardinen usw. 
auf den Markt bringen zu können. 

Es ist leicht verstindlich und erklärlich, daß die Künstler bei den Versuchen, stets 
neue Kunstformen zu schaffen, sich zunächst an die ihnen bekannte einheimische Tier- 
und Pflanzenwelt halten; erst weim diese erschöpft ist, wenden sie sich an die oft reicheren, 
formenschöneren und farbenprächtigeren Gestalten wärmerer Länder, und die Tropen 
haben Ja seit langer Zeit mit ihrer unerschöpflichen Fülle interessanter Lebensformen 
neue Motive in ungezählter Menge dargeboten. Die großen naturwissenschaftlichen Ent- 
deckungen, die im Anschluß an zahlreiche berühmte Forschungsreisen auf den Gebieten 
der Zoologie und Botanik gemacht worden sind, kamen oft auch der Kttnst und dem 
Kunstgewerbe zugute. Diese Zusammenhänge sind Jedoch von der Wissenschaft, von den 
Zoologen und Botanikern, durchaus nicht immer begriffen worden. 


Digitized by Google 


67 



Schmuckformen der Pflanzen und Blumen. Von links na<h r«<<>n! Petunie — Afrikanische Calla — Gloxinie 

((*hotPfrapl)i<ii von hVji<Mi Alinari. Flortnz). 


Ha«k<| 9 


Digitized by Google 


68 



Oben: Veränderlicher Steinbrech (PhoTOjtrjjlkie von Han« Dopfer, NtünAcn). Japanische Quitte (Phot. Fmtelli AliruH, FVorenri 
Um<m Langblättrige Alpenrose (l'liot. braictli Atmah, Floren:). Kanarischer Efeu* Mosaikbüdung (Phot. Hans Dopfer, Mäod»en\ 

Digitized by Google 



69 



AußM ßin»cnarttgcr PIricmca (Ginster). 


Im Ovai: Margheriten (Chrysiatbcmum) (?hot. PraKlIi Alinjri, riorenx). 


Digitized by Google 



70 



Digitized by Google 




71 



Oben: Blütcnkaticbcfi der Zitterpappel (Pho«. Henry lr\-inr. GoWi?»oni, l.cr<b*onh). Unten: MargbcHtcn (Pbot- H. OesterrdA, Berlin). 
Plataoe (PhoL Henry Irving). — Wtlxnores Erika (Phot. iTatcUi Alinjri. I'lorenr). 


Digitized by Google 



0.«„: KO.C 01.«. .1. occrr..*, Dahli. (I=. C Mel,..«,., EKur,,. , Julp.. G..0IIU (PH«.F.C.Hd«=-« E^ 

1„ d„ Min«: Blatt-Begonie oder Schlclblitt (Phot. I raiell. Alioiri, Bore«). 


Digitized by Google) 


73 



KJltschmohn» redus eine gcffltlie Blüre (Vhor. Fr^tclli Alinari, Floren:). 


Digitized by Google 





74 



OWn- Krokus b<l br^ianendcr Schncrschmcitc O'hot. M.m$ Üopfrr, MQn<hfn). Igelkaktus (Phot. OebrOder lUedirl, Berlin) 
Uiuen: Haarschopf - Kaktut ü^brüder Har<bd. Hcrlm). Uebervioterte Distel (Phot. Oeof^ E. F. Sdtulz, BcHio • Frtedeajo) 


Digitized by Google 



'5 


ur Zeit des alten Linn^ des großen Begfrfinders der systematischen Zoologie 
und Botanik, wurde derjenige ein großer Zoologe genannt, welcher die 
meisten Tiere bei ihrem lateinischen oder griechischen Namen zu nennen 
wußte; und ein herrorragender Botaniker war, wer von den zahlreichsten 
Pflanzen zu sagen wußte, wes Art und Name sie seien. Die natur- 
wissenschaftlichen Sammlungen enthielten getrocknete Hiute und Bilge von allerlei Getier, 
das da kreucht und fleucht, wohl auch Schlangen und seltenes Gewürm oder grausige 
Meeresungeheuer in Spiritus auf bewahrt; und die Botaniker trockneten alle erhiltlichen 
Pflanzen, preßten sie zwischen Papier zusammen, bis sie möglichst unkenntlich geworden 
waren und nannten eine solche Heusammlung dann stolz Herbarium. Ich selbst habe 
noch als Knabe auf der Schule solche Sammlungen anlegen müssen, weil man damals 
meinte, sie gehörten zum eisernen Bestand eines ordentlichen naturwissenschaftlichen 
Unterrichts. 

Die nachlioniische Naturforschung ist andere Wege gegangen. Sie konnte natürlich 
nicht die einfache Kenntnis der Tiere und Pflanzen entbehren und brauchte auch Namen 


für die einzelnen Arten. Aber sie legte doch mehr Gewicht auf die Erkenntnis ihres 
anatomischen, inneren Baues, ihre Entwicklung und ihre oft so herrlichen Formen. 
Doch auch diese vergleichenden Anatomen und Embryologen untersuchten nur die toten 
Tiere und Pflanzen in ihren Studierstuben und Laboratorien, und nur selten ging einer von 
ihnen hinaus in die freie Natur, um das Leben derselben kennen zu lernen. Wer es doch 
tat, wie der alte Spandauer Rektor Christian Konrad Sprengel, der die Befruchtung 
der Blumen durch Insekten beobachtete, fand bei seinen Zeitgenossen keine Anerkennung. 
Er entdeckte wohl bis dahin verborgen gewesene Geheimnisse der Natur, aber er 
wurde mitsamt seinem wunderbaren Buche so vergessen, daß man heute nicht einmal 
weiß, wie er gestorben und wo er begraben ist. 


rst der große englische Naturforscher Charles Darwin hat uns wieder 
mitten in die lebendige Natur hineingestellt; erst er hat uns nachdrücklich 
darauf aufmerksam gemacht, daß die Tiere und Pflanzen gleich uns 
lebende Wesen sind, und daß wir sie nur verstehen können, wenn wir uns 
liebevoll in ihr Leben versenken und die vielfachen Beziehungen, in denen 
ie alle untereinander stehen, aufmerksam studieren. Darwin müssen wir als den Schöpfer 
der Wissenschaft vom Leben, der Biologie verehren, deren tausenderlei Rätsel zu lösen 
das heiße Bemühen der jetzigen Forscher ist. 

Moderne, in Darwins Schule aufgewachsene Biologen waren es auch, die unsere 
Augen zum ersten Male für die Fülle von klar daliegenden und verborgenen Schönheiten 


Hk.u ;o 


Digitized by Google 



76 


gebllaet haben, durch die nicht nur die lebenden, sondern auch viele leblose Naturk&rper 
sich auszeichnen. Nicht trockene und langweilige Gelehrsamkeit soll die heutige Natur- 
forschunj; sein, nicht abstofiend auf frische und begfeisterungsfähig^e Geister soll sie wirken, 
sondern sie selbst soll Leben sein und das Gefühl in uns erwecken, daB wir, mitten im 
Leben stehend, ein Glied seines großen Org’anismus sind. Wir sollen Freude empfinden 
über alle unsere Mit^eschöpfe im Wald und auf der Haide, im Wasser und in der Luft. 
Das Gestein im Innern der Erde soll uns ebenso zu liebevoller Betrachtung; anre^en wie 
der gflünzende Kristall, die schnell verdinglichen Eisblumen an unseren winterlichen 
Fenstern, die Blumen auf den Fluren und Wiesen, die buntschillernden Schmetterlinge, die 
metallglänzenden Käfer, die |auchzenden Vögel der Luft, die sonnenschönm Medusen und 
geheimnisvollen Staatsquallen des Ozeans und wie alle die anderen unzähligen Wtmder, 
mit denen Mutter Natur unsere Erde so verschwenderisch ausgestattet hat. 

Zu der rein wissenschaftlichen Betrachtung der Naturkörper hat sich in 
unseren Tagen die künstlerische gesellt, und wenn es wahr ist, da£ die Kunst in ihren 
verschiedenen Äußerungen die Blüte des menschlichen Lebens ist, so wird durch eine 
solche künstlerische Naturbetrachtung ohne Zweifel auch die Wissenschaft selbst auf ehus 
höhere Stufe erhoben. 

Unerschöpflich ist der fruchtbare MutterschoB der Natur I Ehe noch vor Jahrhundert- 
millionen zum ersten Male lebende Wesen auf der Erde entstanden, hatte die Natur schon 
herrliche Kristalle, glänzend und farbenprächtig, hervorgebracht, und seit jenen fernen 
Urwelttagen hat sie eine immer steigende Fülle der formenschönsten Pflanzen und Tiere 
erzeugt, deren Kette nicht abreißt und deren Glieder wir noch lange nicht alle keimen. 



Igachdem wir vorhin die Meeresbewohner betrachtet, werfen wir jetzt einen 
Blick auf die Kunstformen der leblosen (anorganischen) Welt, die uns 
zumeist in Gestalt von Kristallen entgegentreten. Wir erkennen ohne Mühe, 
daß ein Kristall von ebenen Flächen und geraden Linien, den Kanten, be- 
grenzt ist, die sich unter ganz bestimmten, bei den einzelnen Formen immer 
wiederkehrenden Winkeln schneiden. Jeden Kristall kann man auf eine ideale mathema- 
tische Grundform zurückführen, die man erhält, wenn man durch den Mittelpunkt des 
Kristalls Ebenen legt, in denen bestimmte Ecken von ihm liegen. Durch diese Ebenen 
wird der Kristall in symmetrische, d. h. spiegelbildlich gleiche Teile zerlegt. Der Kristall 
erscheint danach niirb festen mathematischen Normen symmetrisch aufgebaut, und diese 
Symmetrie und Regelmäßigkeit befriedigt unser SchönheitsgefühL Je vollkommener, 
regelmäßiger, gleichmäßiger ein bestimmtes Kristallindividuum ist, um so schöner finden 
wir es. Den Grund für diese Symmetrie der Teile und für die mathematisch bestimmten 
Achsen und Winkel haben wir offenbar in Grundeigenschaften der die Kristalle aufbauen- 


Digitized by Go< 


77 


den Stoffe tu suchen. Wir werden den Atomen und Molekülen des Stoffes bereits eine 
Sfanz bestimmte, feste Grundform zuschreiben müssen, die beim Aufbau der Kristalle 
immer wieder zum Vorschein kommt. Nur im Vorbeigehen sei bemerkt, da£ die moderne 
Chemie nach dem Vorbild Tan’t HofPs ebenfalls zu der Annahme gekommen ist, daß die 
Atome eine bestimmte stereometriiche Gestalt haben müssen. 



Grundformen unterscheiden. Auch hier sind Achsen und Symmetrieebenen zu erkennen 
und die Zahlen und GrüfienTerhältnisse, ihre Endpunkte, die Winkel, unter denen sie sich 
schneiden, lassen sich ebenfalls mathematisch genau bestimmen und berechnen. Auch bei 
den lebenden Wesen werden wir in letzter Instanz diese Grundformenrerhältnisse auf die 
stereometrischen Formen der Atome und Moleküle der Substanzen zurückführen müssen, 
aus denen die Organismen aufgebaut sind. 

Ist diese Ansicht richtig, so yersteht man unschwer, wie es kommt, daß in allen 
drei Naturreichen, dem der Gesteine und Kristalle, dem der Pflanzen und dem der Tiere, 
rielfach dieselben oder doch ganz ähnliche Grundformen auftreten. So können aus einer 
einfachen Mischung von Flüssigkeiten yerschiedaier Dichte, also durch Diffusion, Gebilde 
entstehen, die durch die strahlige Anordnung ihrer Teile ganz auffallend an den Aufbau 
Ton Medusen erinnern. Das Verfahren zur Erzielung solcher Formen ist sehr einfach. 
Übergießt man Flüssigkeiten, die zwar mischbar sind, aber verschiedene Dichte haben, 
vorsichtig, so werden sie, )e nach ihrer Schwere, zuerst getrennt bleiben. Mit der Zeit 
aber vermischen sie sich. Dieser Vorgang der Diffusion erzeugt seltsame Figuren, wie in 
diesem Buche Seite 51 gezeigt ist. Diese kunstvollen Formen entstammen den Experimenten 
des Professors Leduc in Nantes, der selbst darüber (im ^Mikrokosmos") folgendes schreibtt 
„Man breitet auf einer Glasplatte eine zehnprozentige Gelatinelfisung aus, der man eine 
Salzlösung zugeführt hat, z. B. einen Tropfen der schwefelsauren Eisenlösung auf fünf 
Kubikzentimeter der Gelatinslösung. Nach Auftragung der Gelatine setzt man auf 
deren Oberfläche in systematischer Lagerung voneinander Tropfen verschiedener Lösungen 
zu, wie Ferrozyankalium, Kupfersulfat, Eisensulfat usw. Die danach entstehenden 
Muster hat kein denkender Geist entworfen, keine geschickte Hand gezeichnet, sie sind 
der spontane Ausfluß physikalischer Kräfte." 

Am reinsten ausgebildet findet man die idealen Grundformen in der Wirklichkeit 
bei Kristallen, die sich haben einzeln bilden können, ohne durch andere Kristalle oder 


Digitized by Google 



78 


sonstig:« Stoffe behindert zu sein. In den meisten Fällen stöfit der sich bildende Kristall 
atif Hindernisse verschiedenster Art, und die Gestalt erleidet allerlei Deformationen. In 
der lebenden \Felt findet man die idealen Grundformen einig'ermaßen genau verwirklicht 
nur bei frei im W^asser lebenden kleinen, aus einer oder nur einigen Zellen bestehenden 
Organismen, die sich nach allen Seiten hin unbehindert entwickeln können. Der weiche 
Protoplasmakörper eines Radiolars kann sich als vollkommene Kugel ausgestalten und 
in diesem Weichkörper kann sich das Skelett mit stereometrischer Regelmäßigkeit gleich 
einem Kristall entwickeln. In der Tat findet man bei den Skeletten der Radiolarien 
alle Grundformen vertreten, die man theoretisch konstruieren kaim. 

Bei den Organismen kann man vier Klassen von Grundformen unterscheiden, 
die folgende Eigenheiten aufweisent i. die natürliche Mitte des Körpers ist ein Punkt; 
2. die natürliche Mitte des Körpers ist eine gerade Linie oder Achse; 3. die natürliche 
Mitte des Körpers ist eine Ebene: 4. die Körper sind ganz unsymmetrisch, unregelmäßig 
gestaltet. 

f. Die reine Kugel, die die erste Grundform verwirklicht, ist vielfach bei im 
Wasser lebenden einzelligen Tieren und Pflanzen vertreten. Häufig ist die Oberfläche 
der Kugel nicht glatt, sondern aus kleinen Feldern, Facetten, gebildet. Diese Formen 
finden sich oft bei Radiolarien, bei den Blütenstaubkömem höherer Pflanzen u. dgU 

2. Die zweite Grundform, bei der die Körpermitte eine gerade Achse ist, findet sich 
vielfach verwirklicht. Entweder kann diese Hauptachse allein vorhanden sein, oder es 
lassen sich noch andere unterscheiden, die diese Hauptachse unter rechtem Winkel schneiden, 
die sogenannten Kreuzachsen. Organismen mit Kreuzachsen kommen sehr zahlreich vor, 
z. B. bei den Sternstrahllogen (Acantharien) unter den Radiolarien. Ferner gehören in 
diese Gruppe alle festsitzenden, radial gebauten Polypen, Korallen, unter den frei- 
lebenden Tieren die Medusen, die regulären Sterntiere (Echinodermen), alle radial ge- 
bauten Blumen, also die große Mehrzahl der Mooocotyledonen oder Einblattkeimer, aber 
auch viele Zweiblattkeimer oder Dicotyledonen. 

3. Ist die Mitte des Körpers eine Ebene, so zerteilt diese ihn in zwei symmetrisch 
gleiche Hälften, in eine rechte und eine linke. Man kann bei diesen zweiseitig 
symmetrischen Körpern drei Achsen unterscheiden, die aufeinander senkrecht stehen. Zur 
Erläuterung stellen wir uns irgendein höheres Tier, z. B. einen Hund vor. Zunächst 
geht eine Längsachse von vorn nach hinten durch den Körper hindurch. Die beiden 
Pole der Achse sind ungleich, vom ist die Nase, hinten der Schwanz. Eine zweite Achse 
steht senkrecht auf ihr und läuft von oben nach unten. Auch ihre beiden Pole sind 
ungleich; oben ist der Rücken, unten der Bauch. Endlich gibt es noch eine dritte Achse, 
die auf den beiden vorherigen senkrecht steht und von links nach rechts verläuft; ihre 
beiden Pole sind gleich, denn die rechte und linke Körperhälfte sind gleich, allerdings 
nur spiegelbildlich. Die einzelnen Teile, die die beiden Körperhälften zusammensetzen, 
haben mit Bezug auf die Körpermitte dieselbe relative Lagerung. Sie verhalten sich zu- 
einander wie der rechte und linke Handschuh oder wie das Spiegelbild zum OriginaL 


Digitized by Google 



79 


Diese bilaterale Grundform ist für uns Menschen schon allein dadurch von ganz 
besonderer Bedeutung'» weil wir selbst nach ihr g^ebaut sind. Wir teilen diesen Bauplan 
mit der fiberwiegfenden Mehrzahl aller höheren Tiere. Ein flüchtiger Überblick über das 
Tierreich und über viele unserer Tafeln zeig;t sofort, daß alle Wirbeltiere, Gliedertiere, 
Weichtiere, Wurmtiere zweiseitig symmetrisch gebaut sind. Es sind das alles Tiere, die 
sich, mit dem Bauch nach unten, dem Rücken nach oben, nach einer bestimmten Richtung 
hin ursprünglich auf einer festen Unterlage, dem Erdboden, fortbewegen. Für eine der- 
artige Bewegung hat sich diese Grundform im Laufe der Entwicklung offenbar als die 
zweckmäßigste erwiesen; sie hat sich daher durch natürliche Zuchtwahl befestigt, erhalten 
und ist durch Vererbung selbst auf diejenigen Tiere übergegangen, die den festen Boden 
zeitweise verlassen und sich in der Luft oder im Wasser frei bewegen, wie z. B. die 
Insekten, Vügel, Fische. 


ist nun jedenfalls^'nicht nur sehr interessant, sondern höchst beachtens- 
wert, daß der Mensch seine künstlichen Bewegungsmaschinen, Wagen, 
Lokomotiven, Schiffe, genau nach dieser bilateralen Grundform baut. 
Auch bei allen diesen Erzeugnissen menschlicher Technik kann man 
die drei Achsen unterscheiden; die erste geht von vom nach hinten 
und ihre beiden Enden sind ungleich; die zweite verläuft von oben nach unten 
und hat ebenfalls ungleiche Pole; die dritte von rechts nach links verlaufend, 
hat symmetrisch gleiche Enden. Ursprünglich laufen alle diese küiutlichen Fort- 
bewegungsapparate auf dem festen Boden. Neuerdings aber hat sich der Mensch auch 
in die Luft erhoben, und siehe da, die Flugmaschinen und lenkbaren Luftschiffe besitzen 
denselben Grundplan ihres Baues. Wohl gibt es auch andere Luftfahrzeuge, die Luft- 
ballons, die nicht bilateral gebaut sind, sondern radial, ähnlich den Medusen. Offenbar 
aber hat sich diese strahlige Bauart für Bewegungsmaschinen nicht bewährt, denn sie 
ist auf einige wenige Abteilungen niederer Tiere beschränkt geblieben, während alle 
höheren Tiere bilaterale Bauart aufweisen. In ähnlicher Weise eignen sich auch die 
Luftballons nicht als Bewegungsmaschinen, wenigstens sind sie nicht lenkbar, d. h. man 
kann sich mit ihnen nicht nach einer bestimmten und gewünschten Richtung hin bewegen. 
Sie sind den Luftströmungen fast ebenso ausgesetzt wie die radial gebauten Medusen den 
Strömungen des Wassert, in dem sie leben. 

Zweiseitig symmetrisch sind auch sehr viele Blüten. Ursprünglich sind wohl alle 
— als frei in die Luft hineinragende Endorgane einer Pflanze — radial gebaut gewesen 
wie viele Beispiele auf unseren Tafeln deutlich erkennen lassen. Stehen die Blüten aber 
dicht zusammen, behindern sie sich gegenseitig in der freien Entfaltung ihrer Teile oder 
stehen sie seitlich an einer Achse und entwickeln sich infolgedessen an der von der Achse, 



Digitized by Google 


80 


dem Stamm oder Stengel abgewandten Sehe anders wie an der entgegengesetzten Sehe, 
so entstellen bilaterale, zweisehig symmetrisclie Blüten, wie sie z. B. die SclimetterlJngi- 
blütler (Bohnen, Ginster, Klee) and die Lippenblumen (Bienensaag) beshzen. 

Auch im Tierreich sind yielfach Tiere oder Teile davon, die ursprünglich radial 
gebaut waren, infolge ihrer Stellung bilateral geworden. Sie mufiten sich neuen Ver- 
biltnissen anpassen und haben infolgedessen neue Gestalten angenommen, Umbildungen 
mancherlei Art erlhten. Eine aufmerksame Betrachtung unserer Tafeln wird das Gesagte 
besser erläutern als viele Worte. 

4. Die letzte Grundform ist völlig achsenlos und unregelmähig. Hierhin gehören 
zunächst die niedersten aller lebenden Wesen, die ein formloses Stückchen Protoplasma 
darstellenden eiiuelligen Amöben und Verwandte. Ferner sind ganz unregelmäßig viele 
Schwämme und Korallen. Beide sind in der Regel Kolonien von Tieren, sogenannte 
Tierstöcke, die aus Hunderten und Tausenden von miteinander verbundenen Eituelheren 
zusammengesetzt sind. Während die Stöcke selbst vollkommen unregelmäßig sind, wie 
auf einzelnen Tafeln zu sehen ist, können die Einzeltiere manchmal ihren ursprünglichen 
radiären Bau beibehalten. 



j|us den von uiu kurz skizzierten wenigen Hauptgrundformen, die ihrerseits 
natürlich manche Abweichungen und Ausgestaltungen im einzelnen er- 
kennen lassen, setzt sich die ungeheure Mannigfaltigkeit aller Lebeformen 
zusammen und diese immer wiederkehrende, aber nie gleiche, sondern stets 
wechselnde, allen möglichen Lebensbedingungen sich anpassende, ursprünglich 
stereometrisch reine Grundform, deren vollkommenste unserem eigenen Körperbau zu- 
grunde liegt, ist es eben, die uns beim Betrachten der uns umgebenden Natur ästhetisch 
so sehr befriedigt. 

Unser Schönheitssizin, unser Lustgefühl bei Betrachtung der Naturkörper wird aber 
auch noch durch andere Verhältnisse ausgelöst als dtirch die besprochenen Grundformen. 
Schön finden wir auch die Wiederholung einer einfachen Form in einer Linie oder in einer 
Fläche. Solche reihenförmigen Anordnungen zeigen zum Beispiel viele im Wasser lebende 
Pflanzen, die Algen, gewisse Tange (Meerespflanzen}, die Nesselknöpfe an den Fangfäden 
der Medusen, spiralig um eine senkrechte Achse angeordnete Blüten, die reihenartig gestellten 
Einzelpersonen von Polypenstöckchen. Sie erinnern an die Perlenschnüre des menschlichen 
Kunstgewerbes, die seit den Urtagen der Menschheit zum Schmock verwandt werdetu 
Flächenartige Anordnung gleicher Teile beobachten wir bei vielen niederen Pflanzen aus 
der großen Abteilung der Kieselalgen oder Diatomeen, bei im Süßwasser massenhaft vor- 
kommenden Grünalgen, auf den Bildern von mikroskopischen Durchschnitten durch 
Pflanzenteile. Hübsche Flächenbilder geben auch die Oberflächen von Blättern mit ihren 
2^1en und den sie voneinander trennenden Zellwänden. Die Gehäuse gewisser 


Digitized by Google 


8 ( 


amöbenartiger Tierchen zeigten ein zierliches Mosaik aus kleinen Kieselplättchen, dU 
Oberfläche der Augfen der Insekten ist aus regfelmäBig' g:elagferten Facetten g^ebildet, die 
Zungfe oder Reibfläche der Schnecken besteht aus einer oft ung^eheuer großen 21ahl 
winzigfer Zähnchen, die in ihrer reg;elmä£ig:en Anordnung' in Quer- und Läng;sreihen an 
gfewisse moderne Tapetenmuster erinnern. Überhaupt bedient man sich im Kunstg;ewerbe 
und in der Technik einer solchen linearen oder flächenartigen Aneinanderreihung gleicher 
oder ähnlicher Gestalten schon lange. Die Weberei, Stickerei und die Drucktechnik 
liefern hierför mannigfache und überall vorhandene Beispiele. 


u dieser nach bestimmten Gesetzen erfolgenden Anordnung der Teile eines 
Organismus, die wir als schfin empfinden, tritt nun noch verstärkend hinzu 
die Färbung, die viele Tiere und Pflanzen (aber auch Mineralien) schmückt. 
Wir bewundern das gleichmäßige Blau eines wolkenlosen Himmels, lassen 
unser Auge ausruhen auf dem ununterbrochenen Grün großer Waldungen 
und ausgedehnter Wiesen. Noch mehr aber geraten wir in Entzücken, wenn gleichfarbige 
Flächen durch anders gefärbte in bestimmter Weise unterbrochen werden. Eine blumen- 
reiche Alpenwiese erfreut uns mehr als ein gleichförmig grüner Raseni und wenn wir 
heute großen Wert auf einen farbenprächtigen Balkonschmuck an unseren Häusern legen, 
so heißt das doch in erster Linie, daß wir die Unterbrechung des meistens eintönigen 
Hausanstrichs durch andere Farben als schön empfinden. 

Nicht viel anders ist es bei den einzelnen Blumen. Gewiß, auch einförmig gefärbte 
Blumen können nach unseren Begriffen schön seini in der Regel aber werden wir, gleich 
den blumenbesuchenden Insekten, solche Blumen vorziehen, die auf ihren Blumenblättern 
noch Jene oft so entzückenden Muster von Strichen, Punkten und Flächen von anderer 
Farbe aufweisen, die biologisch fast immer die Aufgabe haben, den Insekten den Weg 
zum Honig zu zeigen. 

Die oft so wundervolle und mannigfaltige Färbung der Laubblätter unserer herbst- 
lichen Waldungen ziehen die meisten Menschen dem monotonen Grün des Sommers ent- 
schieden vor. Blutbuchen, Silberpappeln und ähnliche Gewächse sind in unseren Gärten 
und Anlagen gerade deshalb so beliebt, weil sie von den meisten anderen Pflanzen ab- 
weichend gefärbte Blätter besitzen. Die Blätter der als Topfpflanzen so beliebten Begonien 
verdanken ihren Reiz den vom Grün ahstechenden Flecken auf ihrer Oberfläche. 

Wer hat noch nicht die Farbenpracht der Schmetterlinge bewundert, auch wenn er 
nicht die herrlichen Vertreter der Tropen in den Museen oder gar lebend gesehen hat! 
Und wer wird nicht erfreut beim AnbUck einer Sammlung auserlesener metallglänzender 
Käfer. Und wie eine wahre Farbensymphonie muß es auf ein empfängliches Gemüt 
wirken, wenn man im Tropenwald Kolibris und Paradiesvögel, Papageien und Tukane 
umherfliegen sieht. 



Digitized by Google 



82 



hin wir unsere Blicke auch wenden mfis^ent Steigfen wir hinab in den 
Stollen eines Erebergfwerkes und beobachten im Schein der einsamen Berg;* 
mannslampe das Schimmern und Leuchten der Erzstufen und der Kristall- 
drusen; bewundern wir im Winter an unseren Fenstern die zierlichen Eis- 
blumen oder g;elingt es uns sog;ar, einige Schneeflocken unter dem 
Mikroskop zu betrachten; untersuchen wir den g;ereinig;ten Radiolariensch 1 amm der 
Tiefsee oder die fein ziselierten Schalen der Diatomeen aus unseren Teichen und 


Tümpeln; erg;&tzen wir uns an dem wallenden und wieg;enden Spiel der farbenprichtig;en« 
durchsichtig;en Medusen; beobachten wir, wie bunte Schmetterling;e sich sorglos übet 
blumigen Wiesen schaukeln und nur dann und wann sich zum flüchtigen Mahle auf 
eine Honig enthaltende Blume niedetlassen; berauschen wir uns an der unerhdttcn 
Farbenpracht eines Sonnenuntergangs in warmen Lindem oder auf tropischem Meere; 
steigen wir hinauf in die Einsamkeit der höchsten Alpenregionen mit ihrem ewigen 
Schnee und Eis; erheben wir uns, dem Vogel gleich, in die Luft und blicken wir auf 
die tief unter uns ▼orbeiziehende Erde hernieder; immer und überall tritt uns eine Fülle 


▼on Schönheit entgegen, für die eigentlich erst uns modernen Menschen das rechte Ver- 
ständnis aufzugehen beginnt. 

Je mehr wir uns in die Natur und alle ihre Erzeugnisse Tertiefen, je mehr 
wir unsere Augen öffnen und mit klarem Blick hineinschauen in alle die Wunder um 
uns, um so höher steigt unsere Bewunderung vor den Stoffen, ata denen unser Planet und 
wir selbst bestehen und vor den Kräften, mit denen sie begabt sind. Und wenn wir 
erkennen, daß bei aller Verschiedenheit im einzelnen die Natur eine große Einheit ist, 
beherrscht von allumfassenden Gesetzen, denen auch wir unterworfen sind, dann mag wohl 
in unserem Herzen ein neuer Gottesdienst herTorsprießen und wir finden unsere höchste 
Befriedigung darin, daß es uns mit den Fortschritten der Wissenschaft immer mehr 
gelungen ist, Jene Gesetze zu erkennen und zu enträtseln, „was die Welt im Innersten 
zusammenhält“. 


Die chemischen und physikalischen Nattrrgesetze haben uns in den Stand gesetzt 
unsere materielle Kultur durch eine ungeheure Entwicklung der Technik mächtig zu 
heben und zu verbreiten; die Kenntnis der biologischen Gesetze befähigt uns, unser in- 
dividuelles und soziales Leben mehr als bisher in EinkUng zu bringen mit der Natur 
und die Menschheit mehr und mehr von ihren zahlreichen Feinden, den Seuchen und 
Krankheiten, zu befreien; die Gesetze, die den Schöstheiten der Naturdinge zugrunde 
liegen, sollen uns in Zukunft anleiten, auch unser eigenes Leben harmonisch zu gestalten 
und künstlerisch zu Teredela. Indem wir die offenen und verborgenen Schönheiten der 
Natur uns Muster sein lassen und uns bestreben, sie zur Grundlage unserer eigenen Kunst 
zu machen, werden wir diese selbst reicher ausgestalten «md neuen verheißungsvollen 
Zielen entgegenführen. 



Digitized by Google 


83 



NAtÜrlichc Flächciunustcr! Der Winter aIs ICünStler* Eiiblumen (Aufnahmen vom Obscr>a(oke Royale d< Beifiqucj 
Re<ht$ olnrn: Verschneiter TAnnenzweig (Phot. Oebr. Haedel, Berlin). 


Haediel U 


Digitized by Google 



84 





r^atürlichc Flächenmuster* Flechten (MaicrtaJ Ltanaca, Naturvixsrai(haftL Inxiicut Bcrtln). 


Digitized by Google 




85 



Struktur von Malm und Molz. t.lnke RcUk* (von oben nach unten): Querschnitt des Stengels der Teichrose 
Oredinophoiofraphie*Ard>iv, Friedenau)/ des Stengels der Palme (bnks); der Stieleiche (redtts); einer dreijährigen Linde 
(Material der Lionaea. Berlin). Reditc Reihe: Querschnitt des Grashalms (l’hor. ilani Dopfer. MQndven) und Dünnschnitte von 

Esche« Silberweide« Stieleiche (Material der tlnnaea. Uerlln). 

Digitized by Google 



86 



Bluten und Früchte« otxn: Au(spring<nd< Früchte des Weidenröschens« aus denen die mit Flugbaareo vcr 
seheneo Samen frei werden. — Gemshorn-Martynie (Frucht) (l’hoipgraphien von Han* Dopfer, MOndien). 

Uwrrti: Artischockenblüte (t'hot. IVau-IH Alinari, Harem). ' 



87 



Ob«n: Mittel (PboL IL Oesterreidi, Berlin). Unien PoDtitche Atftlie (Pbot Fratdli Alinjri, I'li>rcnz). 


Digitized by Google 


88 



Link«R«iKe: Ein« tropisch« Orchld«« fOdontoglossum)* — ^ciß« LiU« (PhcMc«frapMfn von FrattlU AUnarl, Floren*). Reiltte Rrilie 
Zittergras (Phot. Hans r>opfcr, Mönd^en) und Papagci*Tulp« (Phoi. Hl Ocnerrekh, Berlin). 


Digitized by Google 



89 



Hornkriut Ptiot. Ham Dopfcr, MQfKhi*i>). Ginscblümchcn! ValdmtUlcr- Um«i' Grüner Streifenfarn» (Die Irt-ien 
3 rhofOjfrapJiii'i» vcMi O.’orj E- !•. Sdmlx. HrrUn^Prirdeiuu.) 


Digitized by Google 



90 



OUcn: Peruanischer PfeÜerbaum* Unten. Weintraube* Johannisbeere (Photographien %*on Fratdii Alinari, Floren:}. 


Digitized by Google 


91 



Oben: Vcidenkitzchcn (Photographie von R Oeaierrcidi, Berlin). Unten: Trichtcrwlnd« (Phot. Pracelti Altnari, Florenz). 
Trocnpetcabaum (Phot Henry Irvinfj Goldtivom« Lefdiworch). 


MaeArf J2 


Digitized by Google 


92 



Oben: Mammutbaum mit Znpfrn). Zaiplen der Edeltanne« Unten redvrs: See* oder Stemktefer« (Drei Photjfrjpbie« 

v\>tj Henry Irving, Ov^Miltcnn, l.etdiwon*! . Links: Zcrr*Eiche (Phot. PratcIIi AHnarl, I*Iorens>< 

Digitized by Google 




93 



Oben: BtgnonlcngcfUcht (Phoc. }Uns Dopfer, Manrfien)/ JapanUche Zwergkoniferen iPhoio^raphien von J. C. S<firoidt aus 
. Erfurt, Berrin^Charlonenburf und Marirnfeldr). Urnen: Ptnienlandschaft (PNof. Fratetli Atinarl. f’lorcni). 

Digitized by Google 




94 



Oben: Zwicbclil^er SchirmplU (tink%). Ritterlln|( fredtis) <H>oto$r;)}>hien von Hans Dopfer, Mflmlten)/ Waldidyll (in der Mine) 
(htot II. Oestcrr^tJi. IkrUn,. Uuteti; Ackerschachtclhalm (Frtfchttricbe); Schleim - SchirmplU am Buebeostamm 

ii'Kotographien von Oeorg F. Sdnilx, Rerlin^Friedcnau). 


Digitized by Google 




95 



»»Doppelginger'*» Ähnlichkeiten hu Pflanzen* und Tierreich« Oben: Pilze (Abfcfladitcr PoHlnj; an altem Stubben# darunter 
gelber Ziegenbart/ re<bl9 daneben rötlidver Zieeenlurt oder Hahnenkamm). (Photographien von Georg E. F, Schulz, Berlin.) Unten: fCorsIleo 

(rn der Mitte ein Seettem)» (Phot. K. Diedcrkht. Eutin.) 

Digitized by Google 


96 



Der Schmuck des Meeresgrundes und der Küsten. Oben: Korallen mit Scettemen; Kalkgerüst eines See- 
igels (ohne Nadeln) (PlK’iojr.i|'h:eo ven K. Dioterbiis, Lutiii . 1:1 der Miltes Seerosen, im Hintergründe Seetang (Vhat. Neue 

i'haiosraiih. CiesclUA-ifi- Sieei;:;;. Unten: Seesterne (Phot, K. iJlederidis, P.uiin). ,p ^ kjOO^Ic J 


I 






97 



ICprancn und Kondleatkelctte 0 l'hoiographien vm K. Dicdcnihs, Euiin/ je 1 von Gcbr tiacdd und Dr. I'ranz SioeUmer, B<rfin). 


Digitized by Google 






98 



Die Wunder der Xicfscc. Oben: Drei Glasschwimmcr VOR Prof. Siiiutxc, Berlio (Aas «rProf. F. E. SebuUe. AmcriiuAis^ 
llriactinfnidm'*. Verijg Ouujv FiiAer« )ena). Unirn links: Korklleo und Schwimme (Aus „CsH Cliuii,Aus den Tiefen des Writmeacs* 
Verijf Ousuv Fisdkcr, Jena). Rethis: Glasscbw&mm (Phot K. Dlederichs« Eutin). 


Digitized by Google 


i 



99 



Unkst PeoUcHoui» ctoc Seclillc. Re<hcs: RindcDkorAilcn. In der Mine und rt<fits unieni SchUngensteroe» sich diran 
aoklaaioierod« (Aus MCart Chuo, Aus den Tiefen des Weltmeeres"» Verlag Gustav Fisdtcr, leiu.) 


Kaeckel )3 


Digitized by Google 




100 



ölxn: Ti<{ftc«fischc* (NjiüjIuIk o<1fr *rntg vrrMdnerte MornfniatifnaKme nnif» dem Leb«nO Uoicn: Eio Ticfseekrcbs (HomoJiJeV 

ntil Siinigfvoh und Silieren am hinterm Fuß|iiar. (Aus „Carl Chun, Aus dm Tiefen des Wefimeeres". VerUf Gustav l'iseber. ^ ' 



tOf 



rtydf old-PoIyp mit Meduscnknotpca (Phot. 0<br. Har<iH. Bo^in^ Recht» unten] KompAfi'Qu^c (Phot. Neue Photograph, üesdl« 

achati. Steglic). 


Digitized by Google 




t02 



Oben: Seeigel * SkeUttc« Ument TausendjÄhnge KopllüBer* Versteinerte Rieten > Ammoniten tut der Jtsrtieil* 

<l'ho(c>graphien von K. Diederidu, Huitn). 


Digitized by Google 



«03 



Muscheln und Schneckengchluse. Oben links: Durchschnitt durch einen Nautilus« vMaeerUJ der Unnaea. N'jrur« 

vis^etucturilidies Instirut, Berlin.) 


Digiiized by Google 



104 



Mikroskopische Emblicke in die Tierwelt* (Von link» nach rrd>t9.) Ob^n: Mo&aikgchäusc eines nur aus einem form- 
losen Protoplasmaklumpchcn bestehenden Wechseltierchens, erbsut aus selbstfAbrizierten ovslen KicselpUttcben 
(iOOlAch'. Lin^sschnitt durch ein InsektcnAu$;e. SchwAnentierchen« In der Mine: Querschnitt durch ein Mücken* 
AU];c« Riechgrubchen mit Ricchke^cln von einem Fuhlerblattchen des Maiklfers. Unten: Auge und Fühler eines 
Käfers. 'Teil vom NetCAuge einer Stubenfliege (rtiotojr;i]>hien von H. Rrukauf, Weimar, und Eü May. 




105 



(\’on linkt rudt reifii».) Ot>cn: Spinndrüsen einer Spinne; Schmettcrlingsschuppen* H44re der SpeckkaicrUrve. In der 
Mine: Spitze der Bienenzunge mit LöHcIchent Stückchen vom Fühler eine» NAChtschmctterlings (des Nagel- 
ffecks); Rüuelstück eine» KohlweiBHngs. llntcti Querschliff durch die Wand eines menschlichen Röhrenknochens# 

(l*t)o:og. Jt'*drn vc»n 12. May. Ok<fiat;, II. U#‘uk.iuf, Vt cimar. Te hpio-phoM^faph. Ardiiv, Uctlin^lneimau; Han» Dc*pf<r, Mündien/ Dr. Frani 

Sicpcdciicr^ LnliiiO 

, - .j by Google 


106 




Ohcn tinki: K^umagcn der Feldgrille (f’hor. E. May, Os<1)atz). In der Miete und redtts: Teile von SchaeckenZttOgeo (Retbplanc. 
(PhorograpWn von K. Uicderiftis, Huriii). Unten: Teil der ZungenoberfUcbe der Veinbergichneckej Teil von der Eisch^e 

des Taumeikälert (Phoiogra{>liim von E. Reukauf, Weinui)« 

Digitized by G- ;ogIe 




J07 



Exotische KAicfr Libelle uod Zirpen. Unke Reihe, von oben nn<h unten: HerkuleskAfer* Zikade; Domheu* 
schrecke; Nashomklfer (Kamerun). Mitte: Ricscnbock; Brenthui aoebora^o; Riesenlibcllc; Langbein* 
bock« Rechte Reihe: Goliath (Kamerun^: Latcmenträger; indischer Latcrnentrlgcr; Gespenstlaulklfer. 

(Maiefi;il von Eugioe Rey, BeHIn.) Digitized by GoOglC 


Haedtd 14 


(08 



OIh*o (r«rfitv>; Fi0j>cl dcr Südjmerikdnischen Riescneulc. des größten NAcbUchmctterltngSr V« njtOrl. OröAr (Phot 
K I)t.r^ri<h8. l ifin/j (iinki> Fledcrmaushaar fPhot. I*. Rntk^igF, WVimar). Unti^: (ünks) Flügel det Amkaniftchcn Ritten* dn 
größten Taglaltcrs* natQrl. Oröl^c. (rcduk) Unterseite des Flügels des Brasilunttcbcn Augenlalters* ’.a natürl. GröAc (Phoi 
K. I>ie<l<Tich%. Kutin,, ln d«r Mnte (oben); Fischschuppen (Phot. U. M.tv. Osfh.it:)/ (unten) SträhUtück einer Taubenfeder 

(l*h^t. E. kcuk.iuf. \\>;t«4/). 

Digitized by Google 


109 



ExotUche SchmettcrUngc« (Von oben njicfi un(«.*n.) Linke Reihe: Brook'scher Segler} Javanischer Scbwalbeoschwanc; 

Australischer Ritter« Mitte: Mondspinner} Südaftikaoischer Nachtscbwalbenschwanei Atlaispinner» Blauer 
Schwalbenschwanz« Reine Reihe: Australischer Segler} lodo-malayischer Nachtscbwalbenscbwaoz} Indo- 
australischer Schwalbenschwanz. (Material von llu^ene R<y, Berlin.) 

D gilized by CiOOgle 



no 



Baumrinde und HoUstucke mit den Bohrgäogen von KiferUrveiu (Material vob Eug^ Rry, Reriin.) 

Au der linken Seite, von ol*cn unten gehend, ein Ast von der Rinde embldUl, mit den »ie Venierunfcn virfcenden Bohrg&ngcft )O^Ic 




Spinnennetze (redin obea mit TautropFenX Photographien von £. Dubots«Reymond, Berlin, und GehrOder Haedid, Berlin. 


Digitized by Google 


H2 



Kunstvolle Vogelnester (Mjurrijl dei’ linnarj. Brrfin). CM»m in der Mitte: ein KolibrlACSt an einer 

Wäscheleine (Materijl von Hu^^e Rey, Berlin). 


Digitized by Google 



I 



Selttamc 'Ticrgcstaltcn. Oben: Fliegender Hund (Mjreii;il «ier Limuea, RoHm'. Unirn (von linkv na>b rcdir%): Domschw 
Eidechic (Phot. Oebr. Ibodci, Berlin}/ Kampfhahn (Material der l.tnnaea, IWrlin}/ Ubu in ICampfstellung* Gcitrcilte K.lap 

schlänge (Internat. Photo« Archiv M. Koh, Hcriin). 


Digitized by Google 



114 



Stotze Schönheiten. Obeo: K.ronen-Kranicb; Schwäne (i'hoiographirn von Gcbr. Haeckcl Berlin); Pfauentrogon (OuaiemaUs 
>X'^ppcnvogct;. Unten: Papua-Paradietvogcl; Arguafatao (die letzten 3 Photographien vom Internationalen PhoiO'Arthiv M. Kodv Berlin) 


Digitized by Google 





ANHANG 


ERNST HAECKEL* Eine Skizze seines Lebens 


E rnst Hacckcl» der ^Bc Jenaer Zoologe and Natttrphilosoph» der Schfilcr» Freood «ad 
Nachfolger Darwüu» der begeisterte und mutige Freldci^er» der Gelehrte» Künstler 
und vielititlgc Schriftsteller» wtxrdc am Ib. Februar 18B4 ln Potsdam als Sohn des Ober- 
regierungsrats Karl Haeckel geboren. Noch In Haeckels Geburtsjahr wvrde der Vater 
an die Regierung nach Merseburg verseUtl In dieser Stadt hat der junge Emst dann auch 
seine Kinder- und Jugendjahre rerlebh Nach dem Besuch der Volfuschule und des Dom- 
g^mnaslums machte er an letzterem am 24. Mira 1B52 sein Abiturientenexamen* Schon In 
jungen Jahren zeigte sich bd Haeckel Liebe zu den Natunrlssenschaftea» und er hatte die 
Absicht« ln Jena bei Schleiden Botanik zu studieren* Ein kleiner Unfall ▼erblnderte das 
zunichst und Haeckel bezog Ostern 1862 die Unhrersltit Berlin» wo Ihn namentlich der 
Botaniker Alexander Braun fesselte» wihrend er den Vorlesungen des Zoologen Ehren- 
berg keinen Geschmack abgewinnen konnte* 

Sein Vater hatte den V^unsch aissraprochen» er mögt zur Sicherung seines spitera 
Lebens Medizin studieren* Um diesem Wunsche nachzukommen» ging Haeckel Im ▼Inter 
1862 nach ▼ürzburg. Hier h6rtc er bei den damals berikhmten Professoren Albert KAlliker 
und Franz Leydlg* Auch lernte er hier den Anatomen Carl Gegeobaur kennen» der Ihn 
sp&ter veranUBte» sich ln Jena als Dozent nlederzulassen. In Wörzburg blieb der junge 
Student drei Semestert Ostern 1864 ging er wieder nach Berlbi» und jetzt war es der groBe 
Zoologe und Physiologe Johannes MOller» der den gewaltigsten EinfluB auf Ihn ausBbte» 
so dao er sich definitir entschlofi» sein Leben der Zoologie zu widmen* MuUer war et 
auch» der Ihn ln das Arbeitsgebiet einführte» auf dem er sp&ter so GroBes leisten sollte» In 
die Naturgeschichte der sogenannten niederen Sectlere* 

Zunichst aber muBte das medizinische Studium «oUendet werden; demzufolge Hng 
Haeckel Im Frühjahr 1856 wieder nach ▼Brzburg* diesmal baupts&chlich» um bei Run oll 
Vlrchow zu hören» der dort als Reformator der Medizin auf der Höhe seines Ruhmes 
stand. Er wurde Assistent Virebows und bat damals wohl nicht geahnt» daß er spltcr^la 
seinem Lehrer und Freunde einen so erbitterten Gegner finden sollte. 

Am 7. Mlrz 1867 promovierte Haeckel zum Doktor der Medizin* Dann benb er 
sich nach ▼!«!» um sich ln den klinischen F&chem weiter auszubilden* Bereits Im Winter 
desselben Jahres machte er sein Staatsexamen und darauf ließ er sich In Berlin als prak- 
tischer Arzt nieder ^ mM Sprechsttmden von 6-b Ubr morgens* 

Damit war des Vaters Wunsch erfüllt und er erhielt bald die Erlaubnis» ein ganzes 
Jahr ln Italien zubringen zu dürfen. Hier lernte er den lAarscbendichter Hermann Allmers 
kennen» mit dem er treue Freundschaft schloß. Die wunderbare Natur Italiens bitte ihn 
fast veranlaßt» die Wlssemcbaft zt^ verlassen und Landschaftsmaler z« werden* Wenn 
SB nun auch nicht so weit gekommen Ist so tst er doch »sein ganzes Leben hindurch der 
L^ndschaftsmalerei ^reu geblieben und er bat von seinen vielen Rrlsen Welt über 1000 Aqua- 
relle belmgebracht von denen einige unter dem Tttcl »»Wanderbilder^ spiter im Druck 
erschienen sind. 

Entscheidend für Haeckel war srin Aufenthalt In Messina* IBer untersuchte er 
die dort vielfach vorkommendeo Radlolarleo» die er durch Johannes Müller kennen 
gelernt hatte. Br fand zahlreiche neue Arten und konnte 18ü2 seine erste groSc 
»»Monographie dar Radlolarlcn** mit 36 prachtvollen Kupfertafclo berausgeben» 
ein Werk» durch das er seinen Rul als Zoologe für fnuser begründete und das höchste 
Lob der damaligen Zoologen erntete* 

Wihrend der Arbeit an diesem Werke hatte er sieh in Jena als Privatdozent nieder- 
gelassen; 1862 wurde für Um eine auBerordentlIcbc Professur für Zoologie begründet aber 
erst 1865 wurde ein ordentlicher Lehrstuhl für Zoologie errichtet» nachdem Haeckel einen 
Ruf nach Würzburg abgetchnt hatte* Ina August 1862 vcrmlhltc steh der junge Professor 
mit seiner Cousine Anna Sethe; leider aber starb die junge Frau schon am 16. Februar 1864» 
also gerade an seinem 30. Geburtstage» nach einem glücklicbcn und vielversprecbcnden 
Zusammenleben. Haeckel hat den allzufrühm Tod der HelBgelicbten niemals überwunden» 
die in jeder Hinsicht eise harmonische Erginzuag seiner Persönlichkeit gewesen sein muß* 
Wihrend seines Aufenthalts Io lullen war Charles Darwins Buch »»Ober die 
Entstehung der Arten** erschienen und Haeckel lernte ca nach seiner Rückkehr In Berlin 


f • • / 

k 



4 

t • 





gicteb kMUMd. E* packte Uw fraraMa tmd achoa ia tchum RadloUricawcrk bckaaete 
er eich ab Aahtagcr der eenen catnrlcklungetheorie. tm September tS63 hielt er anf der 
NatBriorecherTenainmlimg ln Stettin den eretea Aifenllicbcn Vortrag über die Eatwicklangi* 
thcorle nnd aelt dleaet Zelt war er ln DeutachUad der «nbeat^ene Ffibrcr der nenen 
Bewegnng and mit Recht nannte man Ihn eptler den dentaehen Darwin. In Jena bad 
er In dem genialen Anatomen Carl Gegenbaur einen gldchgealnntea Freund) beide waren 
davon dberxeogt, daS die neue Lehre die geaammte Mologbche Vltaenarhaft om- 
geatalten und einen gewaltigen Einilufi aal die weltanacbauong haben werde. 

Die neuen« durch Dairwla angeregten Gedanken iöhrten lur Abiaaaung dea be- 
deutendaten Verkea, daa wb Hacckel Terdanken, der aweibindigen ««Generellen 
Morphologie**. Da daa Buch bei den engeren Fachgenoaaen aber keinen Ankbng fand, 
aeine Vl'-kung aal dleae innkchat gleich Noll war« ao UeB er twei Jahre darauf (186t) unter dem 
Thel „Natärllcbe SchBpfungagcachicbie“ einen für weitere Krebe beatimmlen Auaaug aua 
einigen Abichnltten erachelnen. Dieaea Buch batte durchachbgenden Erfolg ) Aufbge folgte 
auf AuQagel ln 14 fremde Sprachen wurde ea öberaelzt und wie kein anderca Buch bat 
ca dato belgetragcn« den Darwlnbmua« die Abatammungalchrc nnd die allgemeine Entwlck- 
longatbeorie bekannteumacben. 

Der wichhgate FolgcachluB aua der Abatammungalehre bl der« daS auch der Mcnach 
alcb aua niederen Tlerformcn« zunichat aua affeoihnUchen Vorfahren cntwickcH haben 
muB. Hacckel bat von Anbng an« gleich Tb. Huxlcy in Engbnd und Carl Vogt bei una« 
die Richtigkeit dlcaca Schluaaea anerkannt und er war bald der Führer in dleae: berBcbtigten 
Aifenfragc. Nach kleineren Vorarbeiten UcS er 1873 aeine »Anthropogenie** etacheindw 
daa IFerk. In dem Zum cratcnmal die ganze Entwicklungageichlchte dea Mcnachcn« ooto- 
gcnetiach und phylogenetbch« dargcatcUt und der Stammbaum dea Menaebcngeachlecbb 
en'wickelt wurde. Oicae gewaltige Arbeit urar erat mBgUch geworden durch AublrDung 
dea biogcncllf eben Grundgeaetzea und der Gaatriathcorle« der beiden 
bedeuteodaten Gcfatcatatea Hacckcb« durch die er die damalige Zoologie amgeformt und 
auf eine hftherc Stufe erhoben bat. Nach dem blogcoctbcbcn Grundgeaetz durchliuft )cdca 
Tier bei aetner Entaricklung aua dem befrachteten El eine Reihe von Formzuatftnden« die 
denen entaprechen« die die Vorfahren dea betreffenden Tierea Im Laufe der geoIogl>cbett 
Eolwicklung dureiwemaebt haben. Die individuelle Entwicklung, die Ontogeneab, bt ein 
Auazug aua der Shunmeaentwicklung« der Pbylogencaia. Die Gaalrkathcoric liefert den 
Nachweb, daB alle echten Tiere von einer uralten« h6cht einfach gebildeten Stammform 
abatammen« die noch heute in der lodhridnellen Entwicklung aller Tlerklaaaen ab ao- 
genannte Gaatrala vorkommt. Auf Grund der Tataachen der vergldcbendcn Anatomie« 
der Embryologie und der Paliontologle veraucble Haeckel mit Hille dleaer Tbeorieo die 
Abatammung daa Mcnachcn von efniaebaten einzelligen ProUatenahnen an aufrukllrcn. 

Aua der Erkenntnb der Ucriacbcn Abatammung dea Menacben ergaben alch 
bcdeutungavolle SchluBfolgcrungen fär die Umgcataltung unaerer ▼cltanachauung. Seine 
Anachauuogen in dleaer Beziehung bat Haeckel in acinen ▼erken ««Die Vcltrltacl** und 
„Die Lcbena wandef niederguegt. Seine ▼cltanachauui» bt der naturwiaacnaehaftlich 
begrdodete Moniamua« eine Lehre« die gerade tn unaeren Tagen viel umatrltten wird. 

Seit mehreren Jtiuta hat Hacckel acta Amt ab Profeaaor nlcdergelcgt« nachdem er 
in Jena mit Untcratützung zabbclcber Freunde und Verehrer daa io Deutochbnd bb fetzt 
einzig daalebeode ««PhyTctlacbc Muacum** gegr&ndet und der Uidveraltit gcachcnkt 
batte. In dicaem Muacum aollcn die Bewebe fiir die Abatammungalchrc und Ka den 
Darwinbmua ayatcmatiach zuaammcngcatellt werden. Mit dem Muaeum iat auch ein 
„Pbylcltacbca Archiv** verbunden« daa u. a. die ganze Literatur Bbcr die Eatwicklunga- 
Ichrc aowic zahlreiche Dokomente zu ihrer Gcichlchtc aufnehmen aoQ. 

Trotz aeinci hohen Altera bt Hieckcl noch immer titlgl wenn ca ihm ofitlg cnebclnt« 
greift er frlach und tapfer In den Geiatcakampf der Gegenwart ein« der dch fa ao vielfach 
um Prinzipien dreht« die von Ihm zum eratcnmal klar formuliert worden atod oder die er 
doch adt bngen Jahren an crater Stelle vertreten hat. Er hat in acinem langen Leben 
triele« z. T. groBe Reben gemacht und hat mit aehr vielen hervorragenden PeraBnllchkelten 
in Verbindung gcatandeo. Hleraua und aua aclner ganzen wbaenachaftlichen Titigkcit 
ergibt aich eine Fülle der intcreaianteaten Lebcoacrlnncmngen« mit deren Sammlung und 
Aulzeichnung er nunmehr aelt Jahren bcachkftlgt bt. Seine vielen Freunde« Verehrer und 
Anb&ngcr aehen mit Spannung gerade dleaem peraBnlichatcn Buche des Altmebtcra in Jena 
enlgegcn. der zu den markantcaten PeraBniichkelten unaerer Zeit gcbBrt« von dem daa 
Dichterwart gilti 

Ea kann die Spur von leinen Erdentagcn 

Nicht in Aeoen untergeh’nl 


▼ILKELM BREITENBACH 




9 


f 


. % 



IM Frobcnhu talsAddldi dn neoe« Kapttel der WeÜ®e*düdite «of- 
fe«dila#cn hat, wird lüdil mehr ln Abr^ gettellt werden kdcuMn. 

F. Sb (Sdi wi niurtfa) ta dM Neucftkn Necartdiicii*. 


LEO FROÖENIUS 

erschienen bisher folgende Reisewedce: 

Und Afrika sprach ... 

Allgemeine Ausgabe 

12.- 


Von diesem Werk besteht eine prtiditig 
ausgestatiete reich illustrierte 


zirka fiOO Seiten mit 6S ganzseitigen Bildern, 
über 200 Textillustrationen, einem bunten Bild, 
4 Plinen und 2 Tafeln, Preis eleg. geb. nur M 


dandicn eine wissensdiafllidi erweiterte Ausgabe, 3 starke 
Bünde umfassend u. vornehm ausgestattet zum Preise von M. 20.— pro Band 


EMPFEHLENSWERTE ILLUSTRIERTE GESCHENKWERKE 
Carl Hagcnbeck, Von Tieren und Menschen. Eriebnlue und Erfahrungen, 

Neue wohlfeile Ausgabe. Textlich rennehrt um farbige DiUer berekbeii 

154 Qusiratlonen. ln PrachHelnenband Mark S, — 

Liebhaberausgabe auf Kunsldrudipapler tai gcpreblem Lederbande . Mark IS. — 

Numerlerle Luxusausgabe ln 3 WUdlederbZnden Mark 100. — 

91. bis 99. TausencL 

Die lebemerawe reneea He s eabetki Und «ai dniiswUe«. Dodi. wie cs buber nl. sesevkben werden 
konnle uad von fccincni sweB e n Mennbcn lUsl oder In ZuInmA wieder gesdirlebcn werden kenn, e 

L Lindemann. Das deutsche Helgoland Vornehm ausgeslalleter Prachlband 

mtt 113 andern. Gehcfiet Mark 7. — . fai deganlem Lelncnbend . . Mark 0.90 ' 

Dtoc* «Ucfi Freunden Hdgolandi «ItharUdi «rfllkommcne IWdi. da* den UnttAvfgan Ard der Nor^ 

• «ednael an VcrteMcr hat ffthrl den Leser In ansdiaiiHdier WeUe dl« Insd nnd Ihre DewohMT 

vor Augeik Es sdilldert die Goolocic, 4c Gcstolhmi der DOnt, die Gesdtldde, dk Sag—. 4e faana 
and Bora Helgolands, dk Sprache, GcsuAdhettsvcrMHalsee. den oft recht kumorvoUen Charahkr 
der HeifoHndar, den Wert Helgolands als kUmadschm Kurort als Seebad usw. 

Artur Fürst, Die Wunder um uns. Neue Elnblkke m Nalur und Tedmlk. MH 

103 Abbildungen und Tafeln. Eleganler Prachtband Mark 6 . — 

DIttscs Dudi Ist gleldi werteoll In den HSndea «rwaAsencr gebildeter Leser, wie 
In den Htnden dnr reiferen lugend. (Hembg. htmdenldell) 


Vita • Deutsdies Verlagshaus • Bcrlin-Charlottcnburg 

(AusfOhrilches IBiulrlerlet VcrlaggvgneichnU koitenlot dunh jede Buchhandlung} 


^ Digitijed.by C:Kigk 



JM» 1 j i '‘i •otUltr 1 

K I« I tf dIeM «ilMiiiilih bllten 

dhicr *diA> £ \ I A £ £ CI JL uiucre «bfehet^eftiä 


IVedtotuai »tfdcn. ««lui t» tdtagb 
I binde btt Volk m b ^go w und daintl 


ncA bodter 
kum dot 


uhmt» obfcli etdei v ud au— duleilkfc auf jpraknaae ErverbO' 
InlertMCa t«ldkklca ZcttgcnoMca fttr dea Qenub der wohrca 
MiAÖlkdlett «ded« bi gewbuun.* (Dit Hodtvodd.) 


Zur Anschaffung bestens empfohlen 

lek» daher die btiher cnchleiienen DSnde der Sammlunt 

Leuchtende stunden 

Heraaaeegcben *on FRAN2 GO ERKE. Direklor der Urania In Berlin 


JOHANNES TROJAN 

Unsere deutsdien Wälder 


MU etwa 100 kflniderlidien Aufeahmen und einem farbigen KumIblatI 


GEORG HERMANN . 

Aus guter alter Zeit 


(M^rlMhe Wbikd aiu «Moen deulMhen StSdten) 

MU 106 kOmUerUdien Aufoahmcn und einem farbigen Kunribiatt 


ARTUR FÜRST 

Das Reidi der Kraft 


Mit 85 Bildern namhafter KOnstler (2 farbigen Wiedergaben), davon 
69 Bilder aus der AussieUong «Stfittni dCT' Arbeit' und ein Anhang 
mft 16 Blldem: 


Die Poesie der Eisenbahn. Von HANS BALUSCHEK 


WALTER BLOEM 

An heimisdien Ufern 


(Deutsche Ströme und Seen) 

Mil 130 kOnstlerlKhen Aaftiahroen und einem ‘ farbigen Kmulblall 


GEORG ENGEL 

Auf hoher See 


(Die deutsche Flotte in Bild und WorQ 

Mit einem farbigen Kunslblall und ISO B<ldem, « 
darunter GemSlde von Prof Bobrdt, Dtemer, Pdersen, SaUznsaiui. Sioejrer 


Bisherige Auflage: 140000 Bände 


tat dlcMr Anluig der «LeodtleiHien Stunden*, »direlbt dk «Tigtldit RundedMo.* 

i«uiiaui CIII£sUVAC.IIU M« .^A PUI..I ..t.^ A^ ■■«oa.^U Bo Io« 


1 1 


gm ^ und BUd wird der LeMr fc«e«*eU. b 

ein feettidier Haredw da* nlt« OMtoddend «if und «k* (Berliner Tegcblali) «Deuledbe Hdmmiebc «ollcB 
die Binde neu beeeelen. Jedem, der Vereilndnto rar dto iuim Geelelhing leiner Helmei Ar 


Btf« Wildv und «U«a Stidle hai anOracn ale baudi bcrtlMA.* 


Digitized by Googl 


1